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Coup der Klimaseniorinnen Jetzt spricht der EGMR-Richter Andreas Zünd

Rüge aus Strassburg: Die Schweiz mache zu wenig fürs Klima. EGMR-Richter Andreas Zünd erklärt erstmals das Urteil.

Die Grünen jubeln, die SVP schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Die Stimmung in Bundesbern ist nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) gespalten. Der EGMR verurteilt die Schweiz. Sie habe zu wenig getan, um den Klimawandel zu bekämpfen. Für das Urteil mitverantwortlich war auch der Schweizer Richter Andreas Zünd. Im Tagesgespräch von Radio SRF erklärt er, wie es zum Urteil kam.

Andreas Zünd

Richter, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

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Andreas Zünd ist seit 2021 Schweizer Richter am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. 2004 bis 2021 war er Bundesrichter.

SRF News: Wir haben in der Schweiz kein Gesetz, das der Bevölkerung ein Recht auf Klimaschutz garantiert. Warum ist das Klima ein einklagbares Menschenrecht?

Andreas Zünd: Dabei haben wir uns an der Menschenrechtskonvention orientiert. Dort gibt es zwei Artikel, wo man einen Bezug zum Klimawandel herstellen kann. Das eine ist das Recht auf Leben. Es ist erwiesen, dass der Klimawandel das Leben von Menschen beeinträchtigen kann.

Der Klimawandel stellt eine neue Herausforderung dar, denn die Schäden treten nicht unmittelbar ein.

Zum anderen gibt es das Recht auf Privatsphäre. Dazu gehört auch das körperliche Wohlbefinden. Dieses kann durch Immissionen, z.B. giftige Gase, die ausgestossen werden, beeinträchtigt werden. Es gibt bereits Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die besagen, dass das Privatleben von Menschen, die in der Nähe von Fabriken wohnen, die Immissionen verursachen, beeinträchtigt wird. Der Klimawandel stellt eine neue Herausforderung dar, denn die Schäden treten nicht unmittelbar ein.

Wenn die Folgen nicht unmittelbar das Recht auf Leben oder die Privatsphäre verletzen, warum haben dann die Klimaseniorinnen Recht bekommen?

Da sind unter anderem die wissenschaftlichen Fakten. Wir bewegen uns im Moment auf ein Momentum zu, wo ein Kippeffekt zu erwarten ist. Es zeichnet sich ab, dass dieser die Menschen in ihrem Wohlbefinden stark beeinträchtigen wird und bis zum Tod führen kann. Von diesem Sachverhalt geht der Europäische Gerichtshof aus. Das ist nicht nur die herrschende Meinung in der Wissenschaft, sondern das haben auch die Staaten im Rahmenabkommen der Vereinten Nationen so anerkannt. Dazu gehört auch die Schweiz.

Die Schweiz hat das Pariser Abkommen genehmigt. Es ist somit ein verbindliches Recht. Und unserer Meinung nach erfüllt die Schweiz das Abkommen nicht.

Darüber hinaus haben sich die Staaten im Rahmen des Pariser Abkommens zu mehr Klimaschutz verpflichtet. Jeder Staat hat selbst festgehalten, wie umfassend ihre jeweiligen Beiträge sein werden und es den anderen Staaten zugesichert. Die Schweiz hat das Pariser Abkommen genehmigt. Es ist somit ein verbindliches Recht. Und unserer Meinung nach erfüllt die Schweiz das Abkommen nicht.

In der Schweiz machen Parlament und Volk die Klimapolitik und nicht eine Gruppe von Richtern, kritisieren viele. Was ist die Aufgabe der Justiz und was nicht?

Es ist nicht Aufgabe der Justiz, die Mittel zur Erreichung der Klimaziele zu bestimmen. Das Schweizer Stimmvolk hat gewisse Entscheide gefällt, zum Beispiel beim Klimaschutzgesetz. Die Aufgabe der Justiz ist es festzustellen, was hätte erreicht werden sollen und was nicht erreicht wurde.

Was bedeutet das Urteil für die Schweiz?

Nach dem Urteil ist es Aufgabe des Mitgliedstaates, das begangene Unrecht wieder gutzumachen und zu verhindern, dass sich das gleiche Unrecht in Zukunft wiederholt. Es liegt nun in der Verantwortung der Schweiz, wie die Politik das Urteil umsetzen will.

Aus dem Tagesgespräch mit David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi.

HeuteMorgen, 12.04.2024, 06:03 Uhr ; 

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