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Das Geschäft mit der Angst «Findige Unternehmer nutzen die Sorgen der Menschen aus»

Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer decken sich mit Alarmanlagen und Überwachungskameras ein, obwohl die Zahl der Einbrüche laut Statistik deutlich zurückgeht. «Wir haben die Schweizer gebeten, einzuschätzen, wie sie die Kriminalitätsentwicklung empfinden. Egal, welches Delikt man sich anschaut, überall überwiegt der Anteil der Menschen, die sagen, Kriminalität habe zugenommen», sagt Dirk Baier, der an der ZHAW auf diesem Gebiet forscht.

Dirk Baier

Professor ZHAW

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Dirk Baier ist Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Jugendkriminalität, Gewaltkriminalität und Extremismus.

SRF News: Wie kommt es, dass sich das Sicherheitsgefühl von der Realität so stark unterscheidet?

Dirk Baier: Die meisten Menschen haben keine eigenen Erfahrungen mit Kriminalität. Sie können daher nicht aus den eigenen Erfahrungen Schlüsse ziehen. Ihre Einschätzungen basieren in der Regel auf der Medienberichterstattung. Kriminalität geniesst dort einen hohen Stellenwert, denn es ist etwas Aussergewöhnliches.

Die überproportionale Medienberichterstattung führt dazu, dass die Kriminalitätsentwicklung so falsch eingeschätzt wird.

Zudem gibt es ein Recht der Bürgerinnen und Bürger, darüber informiert zu werden. Aber die Berichterstattung über kriminelle Taten hat eine gewisse Dominanz erhalten, und deshalb lesen wir relativ viel in den Nachrichten darüber, dass es Gewalt und Wohnungseinbrüche gegeben hat. Einbrüche werden gerne von den Medien aufgegriffen, denn diese Delikte machen den Menschen Angst. Die überproportionale Medienberichterstattung führt dazu, dass die Kriminalitätsentwicklung so falsch eingeschätzt wird.

Gehen Menschen, die bereits Einbrüche erlebt haben, anders mit Ängsten um?

Es hat wenig Einfluss auf die Sorgen, ob man selber schon einmal Opfer von Wohnungseinbrüchen geworden ist. Wir wissen aber, dass die Opfer grundsätzlich schon psychisch belastet sind. Sie haben ein grosses Bedürfnis, die Wohnung zu verlassen. Ein Umzug kommt nach jedem fünften Einbruch vor. Es ist definitiv eine belastende Erfahrung, Wohnungseinbrüche zu erleben. Aber die, die es nicht erlebt haben, haben trotzdem eine relativ hohe Angst davor.

Inwiefern können Videokameras helfen, das Sicherheitsgefühl zu verstärken?

Man muss hier in diesem Bereich aufpassen. Die Sorgen, die vorhanden sind, nutzen findige Unternehmer, um Dinge zu verkaufen, die es vielleicht gar nicht braucht.

Es sind gute Tür- und Fensterverriegelung und vielleicht ein Bewegungsmelder notwendig, damit mögliche Einbrecher abgeschreckt werden, weil Licht angeht.

Um sich effektiv vor Wohnungseinbrüchen zu schützen, braucht es gar nicht so viel. Es sind gute Tür- und Fensterverriegelung und vielleicht ein Bewegungsmelder notwendig, damit mögliche Einbrecher abgeschreckt werden, weil Licht angeht.

Hochtechnische Anlagen wie Videoaufnahmen kosten viel Geld und sind den Ergebnissen der Forschung zufolge gar nicht so effektiv, um Wohnungseinbrüche zu reduzieren. Sie können zwar durchaus eine Wirkung auf das Sicherheitsgefühl haben, aber effektiv minimieren sie das Risiko nicht. Die einfacheren Vorrichtungen sind definitiv wirksamer.

Das Gespräch führte Luzia Theiler.

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