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Debatte im Ständerat Kriegsmaterialgesetz wird aufgeweicht – Referendum wahrscheinlich

Die Schweizer Rüstungsindustrie soll beim Export von Kriegsmaterial künftig weniger strenge Regeln befolgen müssen.

Ein guter Lobbyist redet seine eigene Rolle klein. Bei Matthias Zoller, zuständig für die Sicherheits- und Rüstungsindustrie beim Industrieverband Swissmem, tönt das so: «Ich bin derjenige, der informiert. Es geht vor allem darum, den Rüstungsmarkt zu kennen und zu schauen, wo man Mehrheiten finden kann. Und da haben wir vielleicht ein bisschen mitgeholfen.»

Bürgerliche wollen Rüstungsindustrie stärken

Das ist leicht untertrieben, denn die Lockerungen, die der Ständerat beschlossen hat, hat Zoller wesentlich mitgeformt. Während der Debatte warnte Josef Dittli von der FDP, dass immer mehr Staaten die Schweiz wegen der heutigen Exportregeln boykottieren würden. «Dies führt zum Untergang der Schweizer Rüstungswirtschaft. Rüstungsfirmen verlegen die Produktionsketten ins Ausland, Arbeitsplätze gehen verloren.» So werde die Armee geschwächt.

Neu sollen 25 westliche Länder – es sind die wichtigsten Kunden der Schweizer Rüstungsindustrie – generell eine Bewilligung für Rüstungskäufe erhalten. Die bisherigen Kriterien würden nicht mehr gelten - zum Beispiel, dass ein Käuferland in keinen Konflikt verwickelt sein und die Menschenrechte nicht systematisch verletzen darf. Der Bundesrat soll aber ein Vetorecht gegen einzelne Rüstungsgeschäfte haben.

«Die Schweiz bleibt an das Neutralitätsrecht gebunden»

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Bundeshausredaktor Dominik Meier mit den wichtigsten Antworten zum heutigen Entscheid.

Falls in Zukunft ein Nato-Staat angegriffen werden sollte, wären alle Nato-Staaten automatisch Kriegsparteien. Dann könnte die Schweiz gar kein Kriegsmaterial mehr exportieren, oder?

Das ist das Grundproblem, und ein russischer Angriff beispielsweise auf die baltischen Staaten ist nicht völlig unrealistisch. Die Lockerung, die der Ständerat heute beschlossen hat, würde der Schweiz aber etwas mehr Spielraum geben, da Lieferungen an Länder wie Polen oder Deutschland künftig möglich wären, selbst wenn diese in einen Konflikt verwickelt sind.

Es gibt aber ein Aber: Die Schweiz bleibt völkerrechtlich weiterhin an das Neutralitätsrecht gebunden, auch mit dieser Lockerung. Der Bundesrat müsste deshalb auch bei einer Lockerung jede Lieferung an einen Nato-Staat genau anschauen, wenn ein Nato-Mitglied angegriffen würde. Die Bundesverwaltung macht sich bereits konkrete Gedanken darüber, wie das gehen könnte. Zum Beispiel könnte unterschieden werden, ob ein Nato-Staat einem anderen im Kriegsfall bloss mit Material hilft oder eben auch mit Truppen. Und je nachdem wäre eine Schweizer Rüstungslieferung möglich oder eben nicht.
                

Heisst das, dass mit dem Ständeratsentscheid neu zum Beispiel Deutschland in der Schweiz Munition für die Ukraine kaufen kann?

Ja, diese Gefahr besteht. Und das wäre wiederum ein Verstoss gegen das Neutralitätsrecht, das weiterhin gilt. Die Befürworter sagen, dass ein solches «Buebetrickli» praktisch nicht möglich sei, weil die Wartezeiten für Kriegsmaterial fünf Jahre und mehr betrügen und daher rasche Lieferungen an die Ukraine über diesen Weg gar nicht möglich seien. Doch es gibt bei den Bundesbehörden offenbar durchaus Bedenken, und es läuft eine Diskussion, wie man solche Umgehungsgeschäfte mit dieser Lockerung noch verhindern könnte.

Linke Ständeräte wie Daniel Jositsch von der SP wehrten sich vergeblich gegen diese Lockerung. «Sie unterwandern die Neutralität, sodass diese nicht mehr existiert.»

Via rote Linien zum Kompromiss

Anders sehen es FDP, Mitte-Partei und SVP. Sie sind sich einig und verschaffen der Lockerung eine komfortable Mehrheit. Das ist insofern bemerkenswert, als kurz vor dem Ukraine-Krieg Mitte-Ständerätinnen und -Ständeräte noch mitgeholfen hatten, die Regeln zu verschärfen – nun also die Lockerung.

Man gibt Ländern, welche Russland oder Israel beliefern können, einen Freipass.
Autor: Franziska Roth SP-Ständerätin

Dahinter steht monatelange Vermittlungsarbeit. Die Fäden gezogen hat Matthias Zoller. «Bei den Parteien haben wir jeweils die roten Linien und die springenden Punkte angehört. So findet man schliesslich einen Kompromiss, welcher tragbar ist.»

Ein tragbarer Kompromiss gelang auch bei einer weiteren Lockerung. Die 25 westlichen Staaten sollen künftig gekauftes Kriegsgerät auch völlig frei an andere Länder weitergeben dürfen. Der Vorschlag kommt von FDP-Präsident Thierry Burkart – in Absprache mit der Rüstungsindustrie. «Diesen Ländern vertrauen wir, dass sie ebenfalls sorgsam mit der Weitergabe umgehen. Es sind Staaten, welche die wichtigsten internationalen Kriegsmaterialausfuhrregulative ebenfalls unterschrieben haben.»

Zwei Männer.
Legende: Mathias Zopfi (links) im Gespräch mit seinem Kollegen Fabien Fivaz. Keystone / Peter Schneider

Auch hier wehren sich ausschliesslich linke Ständeräte. Franziska Roth von der SP warnt vor einem grossen Risiko, wenn Staaten Schweizer Kriegsgerät frei weitergeben dürften. «Man gibt Ländern, welche Russland oder Israel beliefern können, einen Freipass.» Doch wiederum ist die Mehrheit für die Lockerung deutlich.

Referendum sehr wahrscheinlich

Rüstungslobbyist Zoller ist zufrieden. Er denkt bereits an die nächste Hürde, den Nationalrat. «Ich bin überzeugt, dass auch dort eine Mehrheit verstanden hat, dass Sicherheit etwas wert ist.»

Doch das letzte Wort könnte das Volk haben. «Ich frage mich, ob ihr euch selbst nicht einen Bärendienst erweist: Übertreibst du es beim legiferieren, tust du ein Nein beim Referendum riskieren», erklärte Grünen-Ständerat Mathias Zopfi an die Adresse der Bürgerlichen.

Sollten die Lockerungen durchs Parlament kommen, dann ist ein Referendum von links sehr wahrscheinlich.

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Rendez-vous, 11.6.2025, 12:30 Uhr; sten

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