Die Bevölkerung des Kantons Tessin wird im schweizweiten Vergleich am ältesten – und so werden auch die Politikerinnen und Politiker immer älter. Einer von ihnen ist Piero Früh. Mit seinen 91 Jahren ist er der älteste Neugewählte im Gemeindeparlament einer Luganeser Agglomerationsgemeinde.
Piero Früh wohnt alleine. Seine Frau ist vor vier Jahren verstorben. Das passiere, wenn man so alt sei, sagt er. Der 91-Jährige sitzt sehr gerade auf der Sofakante. Er sei so rüstig, weil er so viel zu Fuss gehe. «Ich bin letzten Sonntag den Monte Bar hochgewandert. Ich versuche, körperlich und geistig wach zu bleiben.»
Aktuell organisiert er eine Diskussionsrunde für den Rotary Club. Das Thema: die künstliche Intelligenz. Der gelernte Bauingenieur fragt sich, was passiert, wenn die künstliche Intelligenz immer stärker und die Zivilgesellschaft immer schwächer wird.
Kampf gegen politisches Desinteresse
Auch im Tessin geht die Wahlbeteiligung zurück, das politische Interesse wird kleiner. Dagegen will er ankämpfen. Darum hat der frühere Tessiner FDP-Grossrat und Gemeinderat entschieden, nach 30 Jahren politischer Abstinenz wieder aktiv zu werden.
Man kann sich doch nicht unters Dach stellen, wenn es regnet, und nicht dafür sorgen, dass das Dach dicht bleibt.
«Ich wollte damit zeigen: ‹Guckt mal, ich weiss, die Politik ist nicht immer ein lustiges Geschäft. Aber es braucht sie, damit wir einen gut funktionierenden Staat haben›. Man kann sich doch nicht unters Dach stellen, wenn es regnet und nicht dafür sorgen, dass das Dach dicht bleibt», sagt Früh. Seine Stimme klingt kein bisschen brüchig.
«Wenn es dem Staat gut geht, geht es uns allen gut», sagt Piero Früh. Er hat sein Leben lang für die Liberalen politisiert. Er gehört weder dem radikalen noch dem wirtschaftsliberalen Flügel der Tessiner FDP an; er sucht die Mitte, das Gleichgewicht.
«Die Lösungen fehlen»
So erstaunt es nicht, wenn er sagt, er habe letzte Nacht daran herumstudiert, einen Verein zu gründen, um den demokratischen Dialog zu fördern. «Früher haben die Parteispitzen zusammen nach Lösungen gesucht. Heute passiert das nicht mehr. Das ist sehr schade. Es wird mehr gestritten, jeder will gewinnen. Es ist schwierig, die Lösungen fehlen.»
Als neues Mitglied des Gemeindeparlaments von Massagno will Früh den Dialog fördern. Dafür will der 91-Jährige viel im Dorf unterwegs sein. Die Energie dafür hat er zweifellos. Mit einem verschmitzten Lächeln steigt der Bauingenieur behände die steile und schmale Treppe zur Dachterrasse hinauf. Sie gibt den Blick frei auf die umliegenden Dächer, den See, die Berge.
«Ich gehe nicht in die Kirche. Ich treffe die Menschen auf den Plätzen. Und ich gehe natürlich auch in die Grotti. Ich bin gerne unter den Menschen», sagt Früh. Die Menschen kennen ihn. Darum haben sie ihn gewählt, trotz seines hohen Alters.