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Demokratie vs. Dringlichkeit Wallis: 5 Bauprojekte in 15 Monaten per Notrecht beschlossen

Kein Mitspracherecht, keine Ausschreibung: Im Wallis wird vermehrt per Notrecht gebaut – ist das noch legitim?

Im Wallis wird gebaut – schnell, entschlossen, aber ohne Mitsprache. 5 Mal in nur 15 Monaten setzt die Regierung Projekte per Notrecht durch. Ausschreibungen? Fehlanzeige. Einsprachemöglichkeiten? Ausgesetzt.

Dies nicht nur bei einer Jahrtausendkatastrophe wie Blatten – sondern auch für einen Autobahntunnel, der seit 20 Jahren im Bau ist.

Notrecht: Was eigentlich nur für akute Notsituationen gedacht ist, wird im Wallis vermehrt angewendet – und wirft die Frage auf: Hebelt der Staatsrat damit die Grundrechte aus?

Die Latte für Notrecht ist hoch angesetzt: «Es ist ein extremes Mittel. Es muss akut Leib und Leben gefährdet sein, oder fundamentale Rechtsgüter wie der Frieden», sagt Markus Müller, Professor für öffentliches Recht an der Uni Bern.

Riedbergtunnel
Legende: Seit 20 Jahren ist der Riedbergtunnel bei Gampel im Bau. Die Regierung liess per Notrecht einen Entwässerungsstollen bohren, um die Bauarbeiten fortführen zu können. Keystone/Jean-Christophe Bott

Die Walliser Regierung hat aber alleine in den letzten rund 15 Monaten in 5 Fällen Bauprojekte mittels Notrecht angestossen:

  • Im Frühjahr 2024 stürzte bei La Tzoumaz ein Tunnel ein. Zwar gab es einen alternativen Weg über Verbier, dennoch entschied der Staatsrat, die Reparaturarbeiten per Notrecht durchzuführen.
  • Im Sommer 2024 traf ein schweres Unwetter das Dorf Lourtier im Val de Bagnes. Die Kantonsstrasse wurde verschüttet. Auch hier griff der Staatsrat zum Notrecht, um die Zufahrt sicherzustellen.
  • Bei Siders und Chippis überflutete die Rhone ein grosses Industriegebiet. Auslöser war, dass sich die Rhone bei zwei Brücken staute. Dieses Problem sollte durch die seit Jahren geplante, aber blockierte Rhonekorrektur behoben werden. Die Regierung entschied, die Brücken per Notrecht anzuheben oder abzubrechen.
  • Im Herbst 2024 wurde beim Bau des Autobahntunnels bei Gampel das Notrecht erneut aktiviert. Der Hang rutscht dort seit Jahrzehnten, doch nun war ein Entwässerungsstollen dringend nötig, um die Arbeiten fortsetzen zu können.
  • Ende Mai 2025 zerstörte ein Bergsturz Blatten. Hier verfügte die Walliser Regierung Notrecht, um die nötigen Arbeiten baldmöglichst zu realisieren.

Die Walliser Regierung setzt Notrecht gleich mehrfach ein. «Das ist für mich, aus der Distanz betrachtet, sehr krass. Und deutet darauf hin, dass man Notrecht etwas leichtfertig einsetzt», so Experte Müller.

Deutet darauf hin, dass Notrecht leichtfertig eingesetzt wird.
Autor: Markus Müller Experte für Öffentliches REcht

Notrecht sei nicht zu legitimieren, wenn ein Projekt gerade «etwas mühsam» sei, länger gehe oder hartnäckige Einsprachen das Vorhaben blockierten, so der Experte.

«Bedrohung für öffentliche Ordnung»: Das sagt die Regierung

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Der Walliser Staatsrat Franz Ruppen erklärte an einer Medienkonferenz, weshalb die Regierung mit Notrecht agiert: Die Durchführung von ordentlichen Genehmigungsverfahren dauerten im Fall von Blatten zu lange und würden daher angesichts der Notlage «eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung darstellen.»

Ruppen ist nicht erfreut, dass der Notrecht-Einsatz bei den erwähnten Fällen thematisiert wird: «Es ist für mich unerklärlich, dass gewisse Politiker und Medien das kritisieren. Das ist für mich unverständlich und inakzeptabel», sagte der SVP-Staatsrat.

Geht es wirklich um Leib und Leben?

Selbst bei einem Jahrtausendereignis wie Blatten müsse man genau hinschauen. Natürlich gebe es dort eine gewisse Rechtfertigung für Notrecht. «Aber geht es wirklich um Leib und Leben? Passiert wirklich in den nächsten Tagen etwas, wenn man nicht sofort handelt?», sagt Müller.

Dasselbe gilt auch für den Entwässerungsstollen beim Autobahntunnel Riedberg bei Gampel, der seit 20 Jahren im Bau ist und immer wieder für Probleme sorgt. Die Politik oder Ingenieure müssten erklären, welche existenziellen Rechtsgüter bedroht seien, wenn man nicht innert weniger Tage handle, so Experte Markus Müller.

Bergsturz von Blatten zerstört historisches Dorf

Ob der Staatsrat Notrecht verhältnismässig einsetzt, darüber wacht die Geschäftsprüfungskommission. Die GPK kann jedoch nach einem Parlamentsbeschluss nicht untersuchen, ob das Notrecht verhältnismässig angewendet wurde (siehe Box unten).

«Es sieht danach aus, dass der Staatsrat weiter munter Notrecht einsetzen kann – ohne, dass er damit rechnen muss, dass ihm jemand auf die Finger schaut», analysiert SRF-Wallis-Korrespondentin Ruth Seeholzer.

«Notrecht muss letztes Mittel bleiben»: Das sagt die GPK

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Die Polizeiklausel war auch im Walliser Kantonsparlament ein Thema. Ein Vorstoss verlangte, dass die Geschäftsprüfungskommission (GPK) prüft, ob das Notrecht in den genannten Fällen zulässig ist. Das Parlament lehnte diesen Vorstoss jedoch im Mai deutlich ab.

Die GPK schreibt auf Anfrage, man behalte das Thema im Auge. Man werde jegliche künftige Anwendungen des Notrechts genau anschauen. «Das Thema betrifft die Verfassungsgrundsätze im Bezug auf die Grundlagen eines Rechtsstaats direkt. Die Anwendung der Polizeiklausel muss aufgrund ihrer Beeinträchtigung der Grundrechte das letzte Mittel bleiben.»

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 27.08.2025, 17.30 Uhr ; 

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