Am einschneidendsten für alle waren die Notrechts-Entscheide in der Pandemie: Am 16. März 2020 erklärte die damalige Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga: «Der Bundesrat hat heute entschieden, die Situation zur ausserordentlichen Lage zu erklären.»
Die Schulen waren bereits geschlossen, Veranstaltungen abgesagt. Es folgte ein erster Shutdown mit Ausnahmen für Lebensmittelgeschäfte und Gesundheitseinrichtungen. Es hiess: zu Hause bleiben, Distanz wahren, Hygienemassnahmen treffen. Dies war der Anfang einer über zweijährigen Ausnahmesituation, in welcher die kritischen Stimmen zunahmen.
Die Bürgerinnen und Bürger müssen verstehen, warum Notrecht absolut notwendig ist.
Künftig brauche es bei der Anwendung von Notrecht erstens mehr Transparenz, zweitens Rechtssicherheit und drittens eine bessere Vorbereitung auf Gesetzesstufe, sagt Carl Jauslin, Jurist beim Bundesamt für Justiz (BJ). Denn: «Beim Notrecht verschieben sich die Machtverhältnisse. Zum einen von den Kantonen zum Bund und zum anderen vom Parlament zum Bundesrat.»
Da müssten die Bürgerinnen und Bürger wissen, warum der Bundesrat in einer bestimmten Situation Notrecht erlassen habe, folgert Jauslin, der am 100-seitigen Bericht zum Notrecht mitgearbeitet hat. «Es ist wichtig, dass sie verstehen, warum das Notrecht absolut notwendig ist.»
Notrecht muss ausführlich begründet werden
Auf Wunsch des Parlaments braucht es bei der Verhängung von Notrecht durch die Landesregierung immer eine Begründung: Ist Notrecht wirklich nötig? Oder gäbe es andere Möglichkeiten?
Diese Fragen spielten eine wichtige Rolle beim Rettungsschirm für den Stromkonzern Axpo und bei der CS-Rettung im Frühling 2023. In den Augen des Bundesrates war die Übernahme durch die UBS die beste Lösung – auch wenn es Risiken gebe, wie Finanzministerin Karin Keller-Sutter erklärte.
Die CS-Rettung ist im Übrigen noch nicht abschliessend aufgearbeitet.
Kritik am Verwaltungsbericht
Auch eine externe Experten-Gruppe wurde für die Analyse des Notrechts beigezogen. Teil davon war die Freiburger Rechtsprofessorin Eva Maria Belser. Sie kritisiert den nun vorgelegten Bericht als regierungs- und verwaltungsfreundlich.
Auch stellt sie die Frage in den Raum, ob es richtig sei, dass der Bundesrat gemäss Verfassung allein entscheidet, auf Notrecht zurückzugreifen. «So ermächtigt sich der Bundesrat ja selbst.»
Sie hätte sich vorstellen können, dass weitere Kreise einbezogen werden – das Parlament zum Beispiel. Über die Verbesserungsvorschläge sei sie jedoch froh.
Nur in Ausnahmesituationen
Und Jauslin vom Bundesamt für Justiz betont: «Das Recht muss möglichst krisenfest ausgestaltet werden, damit Notrecht die Ausnahme bleibt.» Dem stimmt Rechtsprofessorin Belser zu – auch wenn sich Krisen nie restlos vorhersehen und regeln liessen.
Immerhin: Bund und Bundesrat beginnen nun mit den drei verbesserungsfähigen Punkten, um in einer nächsten Notlage angemessen und vielleicht sogar ohne Notrecht reagieren zu können.