Bereits im November stimmt die Schweiz über das Referendum zum Sozialversicherungsgesetz ab. Die umstrittenste Frage: Soll ein Gericht die Observationen anordnen oder die Sozialversicherer selbst? Jetzt zeigt eine Auswertung von «10vor10»: Die Hälfte aller bisherigen Observationen verlief ohne Ergebnis.
Bund: «Auch positiv für die observierte Person»
Die Auswertung berücksichtigt sämtliche Überwachungen, die durch die Invalidenversicherung und die Unfallversicherung Suva zwischen 2009 und 2017 durchgeführt worden sind. Sie zeigt: Insgesamt wurden 2021 Personen überwacht. Bei 975 Personen konnte der Verdacht nicht bestätigt werden. Bei 1037 Observationen wurden Renten entzogen oder gekürzt. Der Grossteil der Überwachungen wurde von der Invalidenversicherung angeordnet.
«Das zeigt: Die Hälfte wird zu Unrecht überwacht, und das ohne Entschädigung», sagt Rechtsanwalt Philipp Stolkin vom Referendumskomitee. Und: «Offensichtlich fehlen unabhängige rechtsstaatliche Strukturen, die sicherstellen, dass die Richtigen überwacht werden.» Beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) sieht man kein Problem. Rolf Camenzind, Leiter Kommunikation BSV: «In solchen Fällen weiss die IV mit Sicherheit, welchen Personen eine Rente zusteht. Auch für die observierte Person ist das positiv. Denn dann weiss man, dass man eine reine Weste hat.»
Observationen werden effektiver
Das Bundesamt für Sozialversicherungen weist darauf hin, dass für treffsichere Kontrollen erst Know-how aufgebaut und spezialisierte Detektive gefunden werden mussten. Mittlerweile würden die Kontrolleure deutlich effektiver eingesetzt als noch vor einigen Jahren.
Tatsächlich zeigt die Auswertung von «10vor10»: Bei der Einführung waren noch rund drei Viertel ohne Ergebnis. Dann stieg diese Quote stetig. Philipp Stolkin vom Referendumskomitee genügt das nicht: «Die wenigen Missbrauchsfälle kann auch die Polizei überwachen – dazu braucht es keine Versicherungsspione. Letztlich geht es um die Grundrechte von uns allen.»
Private Versicherer: Rund 100 Observationen jährlich
Exakte Angaben zur Zahl der Observationen haben «10vor10» nur die öffentlichen Versicherer zur Verfügung gestellt. Die grosse Unbekannte bisher: Wie oft haben die privaten Unfallversicherer überwacht? Gegenüber «10vor10» gibt der Schweizerische Versicherungsverband SVV bekannt, dass die Privaten rund 100 Observationen jährlich durchgeführt hätten. Diese kommen also zu den rund 225 jährlichen Observationen der öffentlichen Versicherungen hinzu. Wie erfolgreich ihre Observationen waren, weisen die privaten Unternehmen indes nicht aus. Der Verband dazu: «Erfolgsquoten sind marktwirtschaftlich. Dieses Thema ist nicht marktwirtschaftlich.»
Insgesamt hat die Invalidenversicherung zwischen 2009 und 2017 laut Angaben des Bundes 320 Millionen Franken eingespart. Dies basiert auf Hochrechnungen, wie viel Rente jemand zugute gehabt hätte und wie lange diese Rente ausbezahlt worden wäre. Die Gesamtausgaben für IV-Renten betrugen im gleichen Zeitraum 52,7 Milliarden.