Digitale Souveränität - Unabhängig von Big-Tech – dank einer Lösung aus Deutschland?
Ein neues Netzwerk will, dass die Schweizer Verwaltung «digital souverän» wird. Der Schlüssel zur Unabhängigkeit sei Open Source – spezifisch eine Lösung aus Deutschland.
Man stelle sich vor, die Schweiz gerate in einen Streit mit Donald Trump und die USA würde uns den Zugang zu ihren digitalen Diensten verweigern. Die Verwaltung würde komplett stillstehen, könnte ohne Microsoft weder Dokumente mit Word öffnen, noch E-Mails über Outlook schicken oder per Teams telefonieren. Genau gleich würde es den meisten Schweizer Unternehmen gehen.
Was ist Digitale Souveränität?
Auch wenn dieses Szenario selbst unter Donald Trump eher unwahrscheinlich ist, lenkt es die Aufmerksamkeit der Politik auf ein reales Problem: Die Schweizer Verwaltung ist angewiesen auf die Tech-Giganten aus den USA.
Insbesondere die Abhängigkeit von Microsofts Office-Lösungen hat handfeste Folgen. Die USA hat so Zugriff auf die Daten der Verwaltung und von uns Bürgerinnen und Bürgern, die in der Cloud gespeichert sind. Zudem kann Microsoft die Abhängigkeit bei der Preisgestaltung ausnutzen.
Seit Jahren ein bekanntes Problem
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Seit Jahren will die Verwaltung ihre Abhängigkeit von Microsofts Office-Produkten reduzieren.
Passiert ist aber nicht viel, im Gegenteil: Immer mehr Kantone wechseln auf Office365, manchmal gegen den Wiederstand der kantonalen Datenschützer. Auch die Bundesverwaltung führt gerade Microsoft 365 für ihre 40'000 Mitarbeitenden ein.
Und das, obwohl das Problem spätestens seit 2009 bekannt sei, sagt Matthias Stürmer, Experte für Verwaltungsdigitalisierung. Damals landete zum ersten Mal eine millionenschwere freihändige Vergabe an Microsoft vor dem Bundesverwaltungsgericht.
Seither hat sich das Problem nur verschärft, zuletzt wegen der Verschiebung in die Cloud, die zu einer verstärkten Abhängigkeit von Anbietern wie Microsoft und zu Datenschutzproblemen führt.
Es gäbe einfach keine Alternative, hört man immer wieder – dieses Argument ziehe heute nicht mehr, ist Matthias Stürmer überzeugt. Es gebe inzwischen sehr gute Open-Source-Programme im Bereich Büroautomation. «Libre Office» zum Beispiel, mit dem das Bundesgericht seit Jahren arbeitet. Speziell für Verwaltungen gibt es neu auch «Open Desk» aus Deutschland oder «Suite Numérique» aus Frankreich.
Deshalb hat Matthias Stürmer, Professor und Institutsleiter an der Berner Fachhochschule, ein Netzwerk ins Leben gerufen, das die «Souveräne Digitale Schweiz» fördern will. Digitale Souveränität, das heisst, dass die Schweiz selbst die Kontrolle behält über die eigenen Daten und IT-Systeme.
Legende:
Das neue Netzwerk für eine Souveräne Digitale Schweiz (SDS) ist auf reges Interesse gestossen: An der Kickoff-Verantstaltung Ende August nahmen über 200 Personen teil, viele davon aus Verwaltungen oder IT-Firmen. 60 Firmen und Behörden seien bereits Teil des Netzwerks.
Berner Fachhochschule
Eine Lösung aus Deutschland: Open Desk
Als Schlüssel zur Souveränität sieht Stürmer Open-Source-Software. Das ist Software, deren Quellcode nicht geheim und im Besitz einer Firma ist, sondern offen verfügbar.
Warum Open Source?
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Matthias Stürmer, Spezialist für Verwaltungsdigitalisierung, erklärt es so:
Kauft man das Office-365-Paket, erhält man tatsächlich nur eine Nutzungslizenz. Die Software bleibt weiterhin bei Microsoft, das jederzeit bestimmen kann, was damit geschieht.
Auch wenn die Verwaltung statt auf Microsoft auf das Produkt einer lokalen Schweizer IT-Firma setzt, kann es geschehen, dass diese von einem ausländischen Investor aufgekauft wird. Dann ist die Software wiederum im Ausland und die Verwaltung in einem Abhängigkeitsverhältnis.
Wenn hingegen der Hersteller einer Open-Source-Software gekauft wird, dann kann die Behörde die Software behalten - denn der Code ist ja öffentlich verfügbar. Die Verwaltung kann dann frei entscheiden, weiter beim ursprünglichen Hersteller zu bleiben oder für den Unterhalt und die Weiterentwicklung ein anderes IT-Unternehmen zu beauftragen. Die Behörde hat hier die Entscheidungsfreiheit.
Die Konsequenz: Die Software ist nicht mehr einfach ein Produkt, das man vorübergehend nutzt, sondern Teil der staatlichen Infrastruktur - genau wie Strassen und Brücken es sind. Genau wie diese gehören IT-Systeme dem Staat, der dann frei entscheidet, welches Unternehmen er mit dem Betrieb beauftragt.
Open Source hat jedoch zwei Probleme: Erstens deckt jede Lösung immer nur einen Teil dessen ab, was ein Benutzer wie die Verwaltung braucht. So entsteht im Gegensatz zu Microsofts umfassendem Office-Paket ein Flickenteppich. Zweitens haben die meist kleine Open-Source-Firmen Mühe, alle Anforderungen der Verwaltung zu erfüllen.
Deutschland hat eine Lösung für diese Probleme: Das Zentrum für Digitale Souveränität bündelt die einzelnen Open-Source-Lösungen zu einem einheitlichen Produkt, das es dann unter dem Namen «Open Desk» an die Verwaltung weiterverkauft.
Das Zentrum für Digitale Souveränität
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Die Rolle des deutschen Zentrums für Digitale Souveränität (ZenDiS) ist es, zwischen dem Open-Source-Ökosystem und den deutschen Behörden zu vermitteln.
Das ZenDis unterstützt und fördert die Open-Source-Szene, bündelt einzelne Lösungen zu einem einheitlichen Produkt mit vollständigem Support und hilft den Behörden bei der Integration.
Open Desk, das ein Open-Source-Paket für die Büroautomation ist, soll nur der Anfang sein. Längerfristig will das ZenDiS die ganze Lieferkette auf souveräne Beine stellen.
Gegründet wurde das ZenDiS 2022, den Betrieb aufgenommen und Open Desk lanciert hat es 2024. Bereits über 2000 Anfragen seien seither eingegangen. Dank seiner Form als vom Staat getragene GmbH habe das Zentrum die nötige Flexibilität, um wie eine kleine, innovative IT-Firma zu agieren, erklärt Geschäftsführer Alexander Pockrandt.
Auf die Frage, ob sowas auch in der Schweiz gelingen könnte, sagt Pockrandt: «Ich hatte den Eindruck, dass die Schweiz auf einem sehr starken Weg ist, in die Richtung zu gehen.»
Open Desk bietet ähnliche Dienste wie Microsoft: Man kann Texte schreiben, E-Mails schicken, chatten und Videoanrufe tätigen. Dahinter steckt aber nicht eine einzelne Firma, sondern acht verschiedene Open-Source-Lösungen, zu einem einheitlichen Produkt gebündelt, das ähnlich aussieht wie Microsofts Office-Programme und ebenso einfach zu bedienen ist.
Open Desk ist bereits bei einigen deutschen Behörden im Einsatz – bei manchen als Hauptlösung anstelle von Microsoft, bei anderen als Ausweichmöglichkeit in der Schublade.
Wie weiter?
Das neue Netzwerk SDS will Open Desk auch bei der Schweizer Verwaltung etablieren und hat letzte Woche offiziell ein Memorandum mit dem deutschen Zentrum für Digitale Souveränität unterschrieben, das eine Vermittlerrolle zwischen dem Open-Source-Ökosystem und den deutschen Behörden innehat.
Legende:
Das neue Netzwerk SDS will «Open Desk» auch bei der Schweizer Verwaltung etablieren und hat Ende August offiziell ein Memorandum mit dem deutschen ZenDiS unterschrieben. Im Bild: Matthias Stürmer (links) und Alexander Pockrandt.
Berner Fachhochschule
Ein Open-Source-Paket für die Verwaltung, gebündelt, unterhalten und vertrieben von einer staatlichen Organisation – wie realistisch ist eine solche Lösung in der Schweiz?
Das Netzwerk SDS plant, mit einem Innosuisse-Projekt eine solche Organisation aufzubauen. Und bereits in wenigen Wochen dürften erste Varianten von Open Desk auf Schweizer Servern auf den Markt kommen, erzählt Matthias Stürmer.
Sind die Behörden bereit für Open Source?
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Zwar ist es die offizielle Strategie des Bundes, die Abhängigkeit von Microsoft Office zu reduzieren. Und das Interesse scheint gross: Am Kickoff-Event des SDS-Netzwerks waren viele verschiedene Verwaltungen dabei, von Bundes- bis Gemeindeebene.
Doch vor einem halben Jahr schrieb die Bundeskanzlei, Microsoft abzulösen sei ein Hochrisikoverfahren und auch viel zu teuer. An der Veranstaltung des Netzwerks sagte Erica Dubach von der Bundeskanzlei zwar, Open Desk decke ihre Anforderung an eine Alternative am besten ab – doch eine Entflechtung von Microsoft könne acht bis zehn Jahre dauern.
Eine erste Probe aufs Exempel macht die Stadt Zürich: Sie ist bereits dabei, Open Desk als Alternative zu prüfen.