Das Internet ist der grösste Spickzettel aller Zeiten, und neuerdings schreibt sich dieser auch gleich selber. Was Schülerinnen und Schüler freut, macht Schulbehörden jedoch Sorgen: Wenn ein Textroboter den Aufsatz oder die Arbeit schreibt, wie kann man dann noch die individuelle Leistung bewerten und benoten?
ChatGPT ist ein Tool, das die Welt verändern wird
Als im letzten Herbst das kostenlose Internetprogramm ChatGPT auf den Markt kam, wurde das grosse Potenzial frei verfügbarer Textroboter schlagartig klar. Das baselstädtische Erziehungsdepartement (ED) hat Handlungsbedarf namentlich für Gymnasien festgestellt und ist jetzt daran, die kantonale Maturitätsprüfungsverordnung anzupassen.
«ChatGPT ist ein Tool, das die Welt verändern wird», sagt Judith Hindermann, stellvertretende Leiterin der Abteilung Mittelschulen und Berufsbildung im Basler ED. Textroboter seien Hilfsmittel beim Schreiben, wie andere digitale Tools auch. Für Hindermann ist völlig klar, dass Schülerinnen und Schüler diese Hilfsmittel überall dort nutzen, wo man Fähigkeiten beim Verfassen von Texten abfrage.
Die Maturaarbeit für den Gymnasiumabschluss ist gedacht als Vorbereitung für ein universitäres Studium. In Basel hat man dabei ein Semester lang Zeit, sich – wie später bei einer Uni-Proseminararbeit – mit einem Thema auseinanderzusetzen. Dabei sollen Schulkinder lernen zu argumentieren, zitieren, Thesen aufzustellen und eigenständig zu schreiben. Wenn nun eine Maschine das Recherchieren oder Schreiben übernehme, dann brauche es eben eine neue Prüfungssituation, erklärt Hindermann.
Basel-Stadt will dabei in Zukunft viel stärker auf die mündliche Prüfung setzen. Bisher wird die schriftliche Arbeit für die Matura mit zwei Dritteln gewichtet, künftig soll es je die Hälfte sein. Geplant wird, dass die Maturandinnen und Maturanden ihre Thesen in der Prüfung vorstellen und im Gespräch verteidigen müssen. So sollen sie zeigen, dass sie tatsächlich verstanden haben, was in ihrer Arbeit steht. Überdies ist vorgesehen, dass der Entstehungsprozess der Maturaarbeit enger begleitet werden soll.
Fairness bei Kunstarbeiten und für Schüchterne
Dieser Ansatz, über den auch in anderen Kantonen nachgedacht wird, hat Tücken: Zum Beispiel gibt es Maturatypen, bei denen nicht ein Text die Abschlussarbeit darstellt, sondern ein Kunstwerk oder ein Musikstück geschaffen wird. Bei Lehrpersonen gebe es da teils Bedenken, sagt Hindermann: «Es wäre nicht fair, wenn dort das Produkt nur so viel wert ist, wie die 50 Prozent, wenn man es präsentiert.» Zudem gebe es Schülerinnen und Schüler, die eher introvertiert oder scheu seien und sich nicht so gut präsentieren könnten – und man müsse allen gerecht werden.
Um solche heiklen Punkte sorgfältig zu klären, lässt sich Basel-Stadt nun bis im nächsten Jahr Zeit für die neue Prüfungsverordnung. Zunächst hatte das Departement angedacht, diese schon zum Beginn des neuen Schuljahres per August 2023 in Kraft zu setzen.
Judith Hindermann rechnet übrigens nicht damit, dass die Prüfungsanpassungen die Maturanoten gross verändern würden. Klar sei generell, dass man in der Schule den Umgang mit Textrobotern und anderen digitalen Tools lernen müsse.