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Drohende Mangellage Was nützen die Stromspar-Appelle?

Noch stehen die endgültigen Zahlen für den Stromverbrauch im abgelaufenen Monat aus. Erste Erkenntnisse deuten jedoch nicht auf eine drastische Reduktion hin. Und dies, obwohl der Bund mit einer grossangelegten – aber auch umstrittenen – Stromsparkampagne gestartet ist. Nützen solche Aufrufe also überhaupt? Eine Expertin ordnet ein.

Christina Marchand

Energieexpertin

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Dr. Christina Marchand hat nach einer Promotion in Chemie über 10 Jahre beim Aufbau des Vergleichsdienstes comparis.ch mit gearbeitet. Danach hat sie myNewEnergy, den ersten Stromvergleich der Schweiz gegründet. Seit 5 Jahren forscht und unterrichtet sie an der ZHAW in den Bereichen Stromprodukte, erneuerbare Energien, Klimawandel, Nachhaltigkeit.

SRF News: Was halten Sie von der aktuellen Stromsparkampagne des Bundes?

Christina Marchand: Grundsätzlich ist das positiv zu bewerten. Vor allem der Symbolcharakter ist nicht zu unterschätzen. Die Kampagne weist aber viele Schwächen auf. Man hat das Gefühl, dass sie sehr schnell umgesetzt werden musste.

Wie wichtig ist der persönliche Verzicht?

In einer akuten Phase braucht es den Verzicht. Mittelfristig sollten wir als Gesellschaft aber einmal innehalten und eine Auslegeordnung vornehmen: Woher stammen unsere Energiequellen? Welche Energieträger verbrauchen tatsächlich am meisten Strom? Wo sind Einsparungen möglich? Leider sind wir davon noch weit entfernt.

Was meinen Sie damit?

In unserem System fehlen zurzeit Feedback-Mechanismen. Schon heute gibt es Apps, die einem den persönlichen Verbrauch anzeigen. Wenn diese zusammen mit sozialen, spielerischen Methoden richtig genutzt werden, dann können laut wissenschaftlichen Studien bis zu 30 Prozent Strom gespart werden.

Erste sinkende Zahlen – aus dem Kanton Zürich

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Wie Karl Resch, Leiter Regulierungsmanagement und Netzwirtschaft bei der EKZ, gegenüber der «Tagesschau» von SRF erklärt, registriert man im Kanton Zürich einen leichten Rückgang des Stromverbrauchs: «Wir haben die dritte Septemberwoche ausgewertet. Unsere Analysen zeigen, dass der Verbrauch bei Grosskunden um drei bis vier Prozent zurückgeht. Bei den Kleinkunden ist es noch ein Prozent mehr, also fünf Prozent.»

Diese Zahlen würden durchaus überraschend kommen: «Wir haben nicht damit gerechnet, dass diese Sparmassnahmen schon so früh wirken.»

Andere durch die «Tagesschau» angefragte Energieversorger können noch keine Zahlen nennen – oder beobachtend derzeit keine deutliche Reduktion.

Leider ist das aufwendig und wird viel zu wenig eingesetzt. Und so verkommen Kampagnen wie die Aktuelle des Bundes auch schnell zu blossen Aufrufen. Freiwilligkeit funktioniert in kleinen geschlossenen Gruppen mit starker sozialer Kontrolle. Hier haben wir es aber mit einem hochkomplexen Thema zu tun. Wie kann ich sicher sein, dass andere nicht doch mehr verbrauchen als ich?

Was schlagen Sie vor?

Da gibt es ganz viele Ideen: Eine wäre, dass Helfer mit Messgeräten die Menschen zu Hause unterstützen, um die grossen Stromfresser ausfindig zu machen – beim Contact Tracing konnte man ja auch schnell solche Helfer anlernen.

Pressekonferenz mit den beiden Bundesräten Guy Parmelin und Simonetta Sommaruga sowie weiteren Behördenvertretern.
Legende: Die Energiesparmassnahmen des Bundes scheinen bei der Bevölkerung ersten Erkenntnissen zufolge noch auf wenig Anklang zu stossen. KEYSTONE / Anthony Anex

Vor allem aber sollte man endlich richtige Preisanreize schaffen. Der Strompreis hierzulande war lange viel zu billig. Würde dieser etwa konsequent höher angesetzt und der Aufschlag pro Kopf rückverteilt, dann gäbe es einen Anreiz zu sparen und würde gleichzeitig Menschen mit geringem Stromverbrauch belohnen.

Regeln machen das Leben manchmal einfacher.

Und auch klare Vorgaben müssen Teil des Mix sein. Regeln machen das Leben manchmal auch einfacher.

Woran harzt es in der politischen Debatte?

Jahrelang wurde das Thema klein gehalten – nun explodiert es plötzlich. Das nimmt dem politischen System auch ein wenig die Glaubwürdigkeit. Grundsätzlich kann man sagen: Wir lassen die grossen Brocken in der Debatte aussen vor und stellen uns die wichtigen Fragen nicht.

Wer ist schuld?

In den Ämtern, Unternehmen und der Politik sitzen heute Leute, die auf einen grossen Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Doch dieser bezieht sich auf die Vergangenheit. Was wir jetzt brauchen, sind Zukunftsinvestitionen.

Windrad auf dem Nufenen-Pass im Kanton Wallis
Legende: Die Schweiz sei beim Thema Erneuerbare ins Hintertreffen geraten, kritisiert die Expertin. Beim Thema Windkraft zeige sich dies exemplarisch. KEYSTONE / Jean-Christophe Bott

Glücklicherweise tut sich langsam etwas. In vielen Gemeinden gibt es beispielsweise heute schon eine Energieberatungsstelle.

Kommt es wirklich zu einer Stromkrise?

Im Moment könnte es aufgrund des Ukraine-Kriegs zu einer Strommangellage kommen. Doch langfristig rollt die Tsunami-Welle der Klimakrise auf uns zu. Heute noch unvorhersehbare Katastrophen könnten unsere Versorgung vor riesige Herausforderungen stellen. Da sehe ich vom Bund noch keine Szenarien.

Wie sparen Sie selbst Strom?

Ich persönliche setze die Massnahmen, die der Bund jetzt ausgerufen hat, schon seit Jahren um. Doch ich muss auch ganz klar sagen: In der Mehrheit setzt sich das nicht durch.

Das Gespräch führte Patrick McEvily.

Die Stromsparempfehlungen des Bundes

Heute Morgen, 04.10.22, 6:30 Uhr ; 

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