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Drohender Bergsturz Wenn das Zuhause zur Gefahr wird: Brienz GR vor dem Umbruch

Zwei Brienzer planen den Wegzug – die Gefahr im Dorf ist zu gross und die ständige Unsicherheit nicht mehr tragbar.

Andrea Müller und Daniel Rizzi stehen auf einer Wiese bei Vazerol GR – dem Ort, an dem sie und ihre Familien künftig leben möchten. Hier, unweit ihres bisherigen Dorfes Brienz/Brinzauls, könnte ihr neues Zuhause entstehen. «Wir haben grosse Hoffnung, dass das funktioniert und dass es klappt», sagt Müller.

Bild von Andrea Müller und Daniel Rizzi
Legende: Andrea Müller (links) und Daniel Rizzi: Zwei langjährige Brienzer, die sich für einen Neuanfang in Vazerol entschieden haben. SRF

Die beiden Männer gehören zu den ersten, die das bedrohte Bergdorf hinter sich lassen möchten. «Wir hoffen jetzt auf die vorsorgliche Umsiedlung», so Müller. Seit vier Jahren sucht er nach einem Ausweg. «Ich stelle mir eine andere Zukunft vor, als ständig evakuiert zu werden.»

Denn eines ist klar: Das Dorf im Albulatal bleibt gefährlich. Trotz einer ersten Entspannung durch den trockenen Frühling rechnen Fachleute mit weiteren Evakuierungen. «Wir haben gesehen, wie belastend das Hin und Her ist», sagt Rizzi. Müller kann nachvollziehen, dass andere bleiben wollen. «Aber für uns ist der Zug abgefahren.»

Blick auf Brienz
Legende: Noch immer bedrohen 1,2 Millionen Kubikmeter Felsmaterial das Bergdorf im bündnerischen Albulatal. Keystone/Gian Ehrenzeller

Auch die Gemeinde stellt sich zunehmend auf einen möglichen dauerhaften Wegzug ein: «Es wäre verfrüht zu sagen, dass man Brienz ganz aufgeben würde, aber man sollte sich Gedanken machen», sagt Gemeindepräsident Daniel Albertin.

Ein Leben im Provisorium

Seit der Evakuierung im November 2024 lebt die Bevölkerung im Ausnahmezustand. «Momentan planen wir unsere Zukunft auf Hoffnung», sagt Rizzi. Die Rückkehr in ein sicheres Dorf scheint immer unwahrscheinlicher. «Man kann mit unpopulären Entscheidungen leben, aber nicht mit Ungewissheit.»

Wollen die Brienzerinnen und Brienzer umsiedeln?

Die vergangenen Monate haben Spuren hinterlassen. Der Winter sei besonders schwierig gewesen, «viele mussten auf die Solidarität der Nachbardörfer zählen», so Rizzi. Für Familien mit schulpflichtigen Kindern sei die Lage besonders belastend gewesen.

Neue Gemeinschaft in Vazerol?

Müller und Rizzi hoffen auf einen Neuanfang – so schnell wie möglich und in sicherer Umgebung. Sie erwarten nicht, dass alle mitziehen, aber es wäre schön, wenn einige vertraute Gesichter dabei wären. «Wir wohnen seit 50 Jahren in Brienz. Ich würde es vermissen, wenn ich die Leute nicht mehr sehe», sagt Rizzi. Ziel sei kein identisches «Neu-Brienz», sondern ein stabiler Ort mit Zukunft.

Ein Wegzug aus dem bedrohten Dorf bleibt freiwillig, doch es gibt Unterstützung: Bund und Kanton übernehmen 90 Prozent der Kosten für Gebäude und Land. Die Gemeinde kann eine Vorfinanzierung gewähren, gestützt auf ein Darlehen des Kantons.

So ist die Situation in Brienz GR derzeit

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Diese Woche haben die Verantwortlichen in Brienz klargemacht, dass die Lage angespannt bleibt. Ab Montag tritt die Phase Orange in Kraft: tagsüber dürfen die Bewohnerinnen und Bewohner ins Dorf zurückkehren, übernachten ist weiterhin verboten.

Geologen warnen, dass auch in den kommenden Jahren weitere Evakuierungen nötig sein könnten. Zwar zeigt der Entwässerungsstollen erste Wirkung, doch er kann die Gefahr nicht vollständig bannen. Die Gemeinde Albula/Alvra schliesst einen dauerhaften Wegzug inzwischen nicht mehr aus.

Bereits ein Drittel der Brienzer Haushalte hat laut der Gemeinde signalisiert, dass sie umsiedeln wollen. Innerhalb der Gemeinde Albula wurden drei Standorte ausgearbeitet. Besonders Vazerol ist beliebt. Rund 80 Prozent der Evakuierten möchten dorthin ziehen.

Erste Parzellen sind vorgesehen, doch Einsprachen könnten den Zeitplan verzögern. Daniel Rizzi warnt: «Das wäre der Super-Gau: Wenn wir blockiert sind, weil andere Einsprache machen.»

Bauen ab 2027

Ein Bezug der Neubauten auf dem Umsiedlungsareal ist frühestens 2027 möglich, erklärte der Verantwortliche des Kantons an einer Bevölkerungsinformation diese Woche. Klar wurde an der Versammlung auch: Geld für die Umsiedlung ist vorhanden und der von Andrea Müller und Daniel Rizzi gewünschte Standort ist eine Option.

«Ich bin froh, dass wir nach sechs Jahren endlich Licht am Tunnel sehen», sagt Müller nach der Bevölkerungsinformation. «Ich bin froh, dass wir jetzt die Möglichkeit haben, wegzuziehen.»

Schweiz aktuell, 2.5.2025, 19:00 Uhr ; 

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