Die Schweiz hat so einige Eigenheiten. Eine davon: Beim Flanieren durch die Berner Gassen läuft man gerne einmal einer Bundesrätin über den Weg. Und im Sommer steht auch der «Stapi» mitten im Quartier für eine Glace Schlange.
So weit, so idyllisch. Und leider auch klischiert. So rüttelten etwa die Corona-Massnahmengegner vor bald drei Jahren nicht nur an den Absperrungen zum Bundeshaus, sondern auch am Schweizer Selbstverständnis.
Zur Wahrheit gehört heute auch: Menschen, die sich in die Politik wagen, brauchen ein dickes Fell – und das nicht nur auf nationaler Ebene. Um den Anfeindungen entgegenzutreten, hat etwa der Kanton Zürich eine Plattform lanciert , auf der Politikerinnen und Politiker Hassnachrichten, Beleidigungen und Drohungen melden können.
Hass und Gewalt in der Lokalpolitik
Forschende des Zentrums für Demokratie Aarau haben das Ausmass der Aggressionen nun auch auf Gemeindeebene ausgewertet. Nach der Befragung von gut 1000 Parlamentsmitgliedern kommen sie zum Schluss: Auch in den Städten sehen sich Politikerinnen und Politiker zunehmend Anfeindungen ausgesetzt.
Die Auswertung zeigt: Grundsätzlich sind die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zwar zufrieden mit ihrem Mandat. Insbesondere dann, wenn sie sich als einflussreich wahrnehmen. «Über ein Drittel der Befragten gab jedoch an, in den letzten zwölf Monaten verbale Gewalt erfahren zu haben», erklärt Stefan Kalberer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut.
Rund ein Drittel wurde im betreffenden Zeitraum verbal angefeindet – sei es im Netz oder auf der Strasse. 6.4 Prozent der Befragten haben Angriffe auf ihr Eigentum erlebt, drei Prozent wurden physisch angegangen.
Frauen und politisch Rechte stärker betroffen
Frauen sind laut der Umfrage öfter verbaler Gewalt und Sachbeschädigungen ausgesetzt. Zudem sind demnach Parlamentsmitglieder, die sich auf der rechten Seite des politischen Spektrums verorten, stärker von physischer Gewalt betroffen.
Die erlebte Gewalt beeinflusst das Verhalten der Parlamentsmitglieder. Viele Befragte sagen, sie hätten ihren Gebrauch der sozialen Medien und ihre Kommunikation verändert. Andere hätten die negativen Erlebnisse gar dazu bewogen, ihr politisches Mandat aufzugeben. Dabei geben weibliche Parlamentsmitglieder häufiger als ihre männlichen Kollegen an, dass sie die erfahrene Gewalt zum Rücktritt bewege.
Konsequenzen für die Demokratie
Die Anfeindungen auf lokaler Politikebene sind für die Forschenden ein besorgniserregender Befund. «Betrachtet man die Gemeinden als ‹Schule der Demokratie›, ist dies eine schlechte Nachricht», sagt Daniel Kübler, Direktionsmitglied des Forschungsinstituts. Dabei sei die Kleinräumigkeit einer Gemeinde eigentlich ideal, um Vorurteile gegenüber politischen Gegnern abzubauen.
Der perfekte Nährboden für eine friedliche, demokratische Debattenkultur kann sich jedoch in sein Gegenteil verwandeln: Er wird zur Arena für Hass und Hetze, die nicht mehr nur im virtuellen Raum stattfindet, sondern von Angesicht zu Angesicht.