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E-Collecting vor dem Aus Schaffhauser Regierung will keine Demokratie mit dem Smartphone

Unterschreiben per Fingertipp: Das wollte Schaffhausen als erster Kanton ermöglichen. Nun ist es der Regierung zu teuer.

Vor fast drei Jahren beschloss das Schaffhauser Kantonsparlament schweizweit Einzigartiges: Mit deutlicher Mehrheit nahm es einen Vorstoss an, der das sogenannte E-Collecting ermöglichen sollte: Anstatt mit dem Kugelschreiber sollten Bürgerinnen und Bürger Volksbegehren in Zukunft auch elektronisch unterzeichnen können. Schaffhausen hätte damit eine Vorreiterrolle eingenommen: Kein anderer Kanton kennt ein solches System.

Wie weit ist E-Collecting in der Schweiz?

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Bisher ist in keinem Kanton E-Collecting möglich. Auch im Kanton Schaffhausen fehlt die gesetzliche Grundlage für E-Collecting, worauf im Jahr 2020 Informatiker Sandro Scalco und Politaktivist Claudio Kuster eine Volksmotion einreichten. Sie argumentierten damit, dass sich Politik immer mehr auch im virtuellen Raum abspiele, auf Online-Portalen und Social-Media-Kanälen wie Facebook oder X. Um eine Volksinitiative zu unterzeichnen, müsse man aber immer noch ein Papier unterschreiben und es auf der Post aufgeben.

Ähnliche Vorstösse auf Ebene Kantonsparlament gibt es auch in den Kantonen Basel-Landschaft, Zug, Obwalden, Bern und Zürich.

St. Gallen will 2025 ein Pilotprojekt starten.

Die Voraussetzungen in Schaffhausen waren gut, denn der Kanton bietet seinen Bürgerinnen und Bürgern bereits seit vier Jahren eine elektronische Identität an – eine Grundvoraussetzung, um überhaupt eine Dienstleistung wie E-Collecting realisieren zu können. Auch mit der E-ID war Schaffhausen der erste Kanton der Schweiz.

Zu komplex und zu teuer

Damit ist es jetzt wohl vorbei. In seinem Bericht kommt der Schaffhauser Regierungsrat zum Schluss, dass das Projekt «viele offene Fragen», technische und politische, habe. Und es ziehe «sehr hohe Kostenfolgen nach sich.» Rund eine halbe Million Franken würden die Projektierungskosten betragen. Dazu kämen jedes Jahr weitere 100'000 Franken Betriebskosten.

Zu viel für den Schaffhauser Regierungsrat. «Unter diesen Umständen macht es keinen Sinn, dass der kleine Kanton Schaffhausen – trotz seiner Digitalisierungsbemühungen – schweizweit eine Vorreiterrolle übernehmen soll.» Die Regierung empfiehlt dem Parlament, die Volksmotion als «erledigt abzuschreiben».

Schaffhauser Regierung will Arbeit anderen überlassen

Es ist ein Ausgang mit Ansage. Der zuständige Regierungsrat Walter Vogelsanger (SP) liess bereits nach dem Entscheid des Parlaments, E-Collecting voranzutreiben, wenig Begeisterung erkennen. «Es ist ein Aufwand, den die Regierung und Verwaltung jetzt betreiben müssen», klagte er 2021. «Die Haltung wäre gewesen, dass man einem anderen Kanton die Pionierarbeit überlassen kann ,und wenn es klappt, können wir aufsitzen», meinte er offenherzig.

Eine 100 Seiten dicke Auslegeordnung von IT-Fachmann und Mitinitiant Sandro Scalco zum weiteren Vorgehen in Sachen E-Collecting änderte offenbar nichts an dieser Haltung. Auf Anfrage wollte sich Walter Vogelsanger nicht weiter dazu äussern.

Es ist ein Aufwand, den Regierung und Verwaltung jetzt betreiben müssen.
Autor: Walter Vogelsanger Schaffhauser SP-Regierungsrat

Bei Sandro Scalco kommt diese Haltung schlecht an. Der schweizweit anerkannte Fachmann für E-Government spricht von einer verpassten Chance. Die Argumente des Regierungsrats könne er nicht nachvollziehen. «Gerade der Kanton Schaffhausen hat mit seiner E-ID und seinem mobilen Bürgerportal perfekte Voraussetzungen, um etwas anderes zu machen als andere Kantone.»

Schaffhausen ist wieder im Hintertreffen.
Autor: Sandro Scalco Mitinitiant und Informatiker

Die Fragen zu den Kosten dürfe man stellen, meint er. Andererseits habe es Schaffhausen auch verpasst, weiter in digitale Infrastruktur zu investieren. Unterdessen sei er einer der wenigen Kantone ohne Digitalisierungsstrategie. «Jetzt ist Schaffhausen wieder im Hintertreffen – obwohl es europaweit einmal Vorreiter war.»

Sandro Scalco und Claudio Kuster
Legende: Sandro Scalco und Claudio Kuster wollten mit ihrer Volksmotion die gesetzliche Grundlage für E-Collecting schaffen. SRF/Roger Steinemann

Enttäuscht ist auch der zweite Initiant, Politaktivist Claudio Kuster. «Der Regierungsrat hätte zumindest einen Gegenvorschlag ausarbeiten können – oder endlich vorwärts machen mit der Digitalisierungsstrategie. Jetzt macht er nicht mal das, das hat mich schockiert.» Er hofft, dass der Kantonsrat die Regierung jetzt wenigstens bei der weiteren Digitalisierung in die Gänge bringen kann. Auch in Sachen E-Collecting ruht die Hoffnung auf dem Rat. Er hat das letzte Wort.

Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 8.1.2024, 17:30 Uhr ; 

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