Ein Jahr im Zeichen von Corona: Für Silvia Steiner ging am 1. Mai die Zeit als Zürcher Regierungspräsidentin zu Ende. Sie übergibt an Justizdirektorin Jacqueline Fehr, die seit 2015 in der Zürcher Regierung sitzt und ihr Amtsjahr dem Thema «Teilhabe» widmet. Silvia Steiner blickt zurück auf ein intensives Jahr – geprägt von Uneinigkeiten mit dem Bund und Streitigkeiten in der Regierung.
SRF News: Wegen Corona hiess es für Sie als Regierungspräsidentin Krise statt Apéro. Silvia Steiner, wie froh sind Sie, dass das Amtsjahr vorbei ist?
Silvia Steiner: Ich habe die Zeit genossen. Es war sehr intensiv und sicher anders als andere Regierungsjahre, aber ich konnte profitieren und dazulernen. Ich schaue deshalb zufrieden zurück.
Ein intensives Jahr: Sind Sie nie an Ihre Grenzen gekommen?
Nein. Ich glaube nicht, dass ich an meine Grenzen gekommen bin. Ab und zu habe ich Distanz gebraucht. Wenn man zu nahe an einem Problem ist, dann kann man es nicht mehr wirklich erfassen. Erst wenn man einen Schritt zurückgeht, kann man es erkennen und besser analysieren.
Das Ringen um Beschlüsse und Entscheide muss intensiv stattfinden, ansonsten haben wir uns zu wenig Gedanken gemacht.
Ihre Aufgabe als Regierungspräsidentin war es auch, die Regierung in dieser Krise zusammenzuhalten. Von aussen hatte man eher den Eindruck, jeder Regierungsrat arbeitet für sich allein.
Die Regierungsräte vertreten sieben Lebensbereiche, ich beispielsweise die Bildung. Nun müssen wir unseren Lebensbereich einbringen und da können wir nicht immer einer Meinung sein. Das Ringen um Beschlüsse und Entscheide muss intensiv stattfinden, ansonsten haben wir uns zu wenig Gedanken gemacht. Daher: Es kann von aussen der Eindruck entstanden sein, dass wir nicht einig sind. Aber so muss es sein.
Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli forderte mehrmals auch über die Medien schärfere Massnahmen. Hat Sie das geärgert?
Ja das ärgert mich schon. Ich hätte vorgezogen, wenn man diese Diskussion im Regierungsrat hätte führen können und nicht vorher in der Öffentlichkeit. Das habe ich ihr persönlich und auch den anderen Regierungsräten gesagt. Aber: Das Interesse der Bevölkerung ist natürlich gross und der Anspruch, dass sich die Gesundheitsdirektorin äussert, ist gerechtfertigt.
Der Kanton Zürich setzte im Kampf gegen Corona auf den «Zürcher Weg», einen Weg mit liberalen Massnahmen. Dieser führte in eine Sackgasse.
Nein, das sehe ich anders. Wir sind immer noch auf diesem Zürcher Weg.
Aber der Bundesrat hat die Massnahmen korrigiert.
Der Bundesrat hat uns nur knapp links überholt mit seinen Massnahmen. Aber: Das war wohl die schwierigste Aufgabe in meinen Präsidialjahr, als wir im letzten Dezember lange um Lösungen gerungen haben, die für Zürich praktikabel sind – beispielsweise die Öffnungszeiten für Restaurants. Und der Bundesrat uns am selben Tag übersteuert hat. Ich habe mich immer für Lösungen starkgemacht, die auf Situationen und Örtlichkeiten zugeschnitten sind. Darauf hat der Kanton Zürich bestanden und da hat der Bundesrat vielleicht auch ein wenig die Nerven verloren.
Ein nervöser Bundesrat: Das klingt nicht sehr selbstkritisch. Was hätte Zürich besser machen müssen?
Ich glaube man hätte im Herbst Grossveranstaltungen nicht wieder erlauben dürfen. Das war meiner Ansicht nach ein kapitaler Fehler – in einer vermutlich auch epidemiologisch sehr heiklen Situation. Der Bundesrat hat es zugelassen, die Kantone haben es bewilligt. Da hätten wir ganz restriktiv nichts zulassen sollen.
Das Gespräch führte Dominik Steiner.