Seit rund einem Jahr können Hausärztinnen und Hausärzte eine Psychotherapie anordnen – ähnlich wie bei der Physiotherapie. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten. Sind mehr als 30 Therapiesitzungen nötig, braucht es die Zustimmung eines Psychiaters oder einer Psychiaterin.
Es gibt unterschiedliche Stimmen dazu, wie der Wechsel angelaufen ist. So kursieren auch Beispiele von Patientinnen, die keinen Therapieplatz finden oder von Patienten, die für Psychopharmaka auf gut Glück Psychiater kontaktieren. Diese Beispiele sollen belegen, dass sich die Situation nicht zum Besseren verändert hat.
Bedarf übersteigt weiter das Angebot
Philippe Luchsinger, Präsident der Haus- und Kinderärzte, begleitet die Umsetzung des Wechsels in einer Arbeitsgruppe. Aus seiner Praxis kennt er keine solchen Beispiele.
Luchsinger sagt: «Wir haben nun mehr Plätze und besseren Zugang. Das Problem ist aber, dass der aktuelle Zugang noch immer nicht reicht. Der Bedarf an Plätzen ist weiterhin sehr viel grösser als das Angebot – trotz der Erweiterung und trotz mehr Therapeutinnen und Therapeuten.»
Inzwischen rechnen ein paar tausend psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten direkt über die Krankenkassen ab. Ein grösseres Angebot bedeutet auch mehr Kosten – damit war zu rechnen. Dennoch sorgt sich der Krankenkassenverband Santésuisse jetzt schon wegen des klaren Kostenanstiegs.
Der Wechsel zum Anordnungsmodell ist ein grosser Einschnitt und deshalb auch verbunden mit verschiedenen Schwierigkeiten.
Beim Bundesamt für Gesundheit will Vizedirektor Thomas Christen zwar nicht von einer überhasteten Einführung sprechen, beschönigt aber nicht: «Der Wechsel zum Anordnungsmodell ist ein grosser Einschnitt und deshalb auch verbunden mit verschiedenen Schwierigkeiten.» Verschiedene Krankenkassen des Verbandes Santésuisse weigerten sich, die Leistungen von Angestellten zu bezahlen, die noch in Weiterbildung sind. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) intervenierte.
Bei einem Systemwechsel dauere es immer eine gewisse Zeit, bis alles geklärt sei, stellt Pius Zängerle fest. Er ist Direktor bei curafutura, dem anderen Krankenkassenverband. «Wir bezahlen und akzeptieren die Psychologinnen und Psychologen in Weiterbildung, das läuft gut. Wir haben aber noch viel Arbeit vor uns.» Das sei jedoch für den Beginn des Systemwechsels auch zu erwarten gewesen.
Zwist um Fallprüfungen durch Psychiater
Vonseiten der Psychologinnen und Psychologen gibt es zudem Kritik an der Fallprüfung durch Psychiaterinnen und Psychiater bei langwährenden Therapien:
Das BAG will die Fallprüfung beibehalten. Die Rollenteilung vor dem Wechsel hatte den Nachteil, dass der Zugang zu einer Psychotherapie beschränkt war. Sie hatte aber den Vorteil, dass die Fachleute von Psychologie und Psychiatrie in der Praxis eng zusammenarbeiteten.
Philippe Luchsinger von den Haus- und Kinderärztinnen und -ärzten will hier anknüpfen: «Das Wichtigste ist, dass wir Netzwerke bilden: Sei es von Grundversorgern, Hausärzten und Kinderärztinnen, mit den Psychologinnen und mit den zuständigen Psychiatern.» So, dass die Patientinnen und Patienten dann ohne Rivalitäten der Beteiligten tatsächlich eine gute Versorgung für die psychische Gesundheit erhalten.