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Systemwechsel bei Therapien Parlament befürchtet Kostenexplosion bei Psychotherapien

Menschen in psychischer Not sollen ab nächstem Sommer einfacher und schneller eine Psychotherapie erhalten als heute. Doch das Parlament befürchtet eine Kostenexplosion.

Die Pandemie zehrt an den Kräften der Menschen. Bei psychischen Problemen kann eine Psychotherapie helfen. Die Nachfrage danach steigt.

Auch die 28-jährige Barbara (Name geändert) hat Anfang Jahr einen Therapieplatz gesucht. Bereits ein paar Jahre zuvor war sie wegen einer depressiven Episode in ärztlicher Behandlung. Seit letztem Winter kämpft die Frau mit Angstzuständen: «Es ist so anstrengend, jeden Tag solche Negativspiralen zu haben. Eine Psychotherapie hilft mir, aus diesen Ängsten rauszukommen.»

Die Kosten könnten aus dem Ruder laufen

Therapieplätze sind allerdings knapp. Doch das soll sich bald ändern. Ab nächstem Juli sollen Psychotherapien leichter zugänglich sein. Das hat der Bundesrat bereits im Frühling mit einem Systemwechsel entschieden.

Konkret bedeutet das: Um über die Krankenkasse abzurechnen, müssen Psychotherapeutinnen nicht mehr Delegierte eines Psychiaters sein. Neu können sie das selbstständig tun, wenn die Behandlung von einer Ärztin angeordnet wurde.

So sollen künftig mehr Plätze zur Verfügung stehen, was auch mehr Kosten verursacht. Mit 170 Millionen Franken jährlich rechnet der Bundesrat. Die Krankenkassen befürchten ein Mehrfaches.

Es besteht die Gefahr einer ungerechtfertigten Mengenausweitung.
Autor: Josef Dittli Präsident des Kassenverbands Curafutura

Nun reagiert die Politik: Nach dem Nationalrat will auch der Ständerat Leitplanken setzen, damit die Kosten nicht explodieren. Dies hat er an seiner heutigen Sitzung beschlossen. Josef Dittli ist Präsident des Kassenverbands Curafutura und in der Gesundheitskommission des Ständerats.

Er warnt vor einem übermässigen Anstieg: «Solange die Kosten medizinisch begründbar sind, ist das auch im Willen des Parlaments. Es besteht aber die Gefahr einer ungerechtfertigten Mengenausweitung. Deshalb ist Vorsicht geboten und es braucht Instrumente, um das steuern zu können».

«Mittelalterliches Zünfte-System»

Die Idee ist eine Zulassungssteuerung, das bedeutet, dass die Kantone begrenzen können, wie viele Psychotherapeuten sie zum direkten Abrechnen zulassen. Das Gleiche gibt es bereits für Ärztinnen und Ärzte.

Gesundheitsökonom Felix Schneuwly hält wenig von diesem Instrument: «Das ist ein mittelalterliches Zünfte-System. Wenn die Kosten zu hoch sind, erschwert man jungen qualifizierten Leuten den Zugang zum Markt, verwehrt so den Patienten unter Umständen die Therapie, während die etablierten Therapeuten im Markt bleiben.»

Psychologen sagen «Ja, aber...»

Beim Verband der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wehrt man sich nicht gegen die Zulassungssteuerung. Jedoch ist die Co-Präsidentin Yvik Adler der Ansicht, dass es keine weiteren Einschränkungen braucht. Es gebe bereits genug Reglementierungen im neuen Anordnungsmodell: «Es werden immer nur 15 Stunden angeordnet. Und nach 30 Stunden gibt es eine Überprüfung.»

Die 28-jährige Barbara, welche derzeit eine Psychotherapie besucht, bezahlt ihre Behandlung über ihre Zusatzversicherung und aus der eigenen Tasche. Sie hofft, dass dies nach dem Systemwechsel nächstes Jahr anders wird: «Für mich wäre ein wichtiger Schritt, dass die Grundversicherung die Kosten übernehmen würde. Ich bin jung und körperlich gesund, muss sonst nicht zum Arzt. Die einzigen Kosten, die anfallen, sind wegen meiner mentalen Gesundheit. Und da bin ich sehr froh, wenn ich etwas an die Kostendeckung kriege».

Mit einer allfälligen Zulassungssteuerung muss sich nun der Bundesrat befassen. Wie sehr die Psychotherapie künftig reglementiert werden soll: Dazu ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.

10 vor 10, 06.12.21, 21:50 Uhr

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