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Einheitskasse Nach hitziger Debatte: Nationalrat will keine Einheitskasse

Der Nationalrat empfiehlt die Volksinitiative «für eine öffentliche Krankenkasse» zur Ablehnung. Die Mehrheit im Rat sieht keinen Grund für einen «radikalen Richtungswechsel». Das heutige System mit Wahlfreiheit und Wettbewerb habe sich bewährt.

Der Entscheid in der grossen Kammer fiel mit 124 zu 61 Stimmen bei einer Enthaltung. Damit kommt die Einheitskasse mit einer dreifachen Nein-Empfehlung, von National-, Stände- und Bundesrat, vors Volk.

Die Volksinitiative «für eine öffentliche Krankenkasse» verlangt, dass die obligatorische Krankenversicherung nicht mehr von privaten Anbietern, sondern von einer staatlichen Einheitskasse mit regionalen Agenturen sichergestellt wird. Eingereicht wurde sie von linken Organisationen und Parteien.

Nationalrätin Jacqueline Fehr (SP/ZH) vertrat die Vorlage in der grossen Kammer im Namen des Trägervereins. Die Krankenkassen, und mit ihnen die Pharmaindustrie und die Privatspitäler, kümmerten sich mehr um das Business als um die Patienten, kritisierte Fehr während der hitzigen Debatte.

61 Kassen, 300'000 Angebote

«Diejenigen, die Geld machen wollen, sind gut vertreten hier im Saal», ergänzte Jacqueline Fehr. Diejenigen, die sich um die Gesundheit kümmerten, seien dagegen weniger stark vertreten. Unter ihnen seien Physiotherapeuten, Pflegende, Hebammen und Konsumentenschützer. «Aber sie stehen hinter dieser Initiative.» 61 Krankenkassen böten mittlerweile 300'000 verschiedene Versicherungsprodukte an, sagte Fehr. «Das ist nicht Wettbewerb, das ist Chaos.»

Ins selbe Horn blies Regula Rytz (Grüne/BE). Der Wettbewerb sei nur gespielt. «Tatsache ist, dass alle Bewohner der Schweiz sich einer obligatorischen Grundversicherung anschliessen müssen.» Jede Versicherung müsse von Gesetzes wegen das Gleiche verkaufen. Der einzige Wettbewerb bestehe in der Jagd auf gute Risiken, bemängelte Rytz.

Die Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen betonte, dass eine Annahme der Initiative Vereinfachung, Transparenz und mehr Demokratie bringen würde. Die heutige Situation bedeute für die Versicherten «mehr Qual denn Wahl».

Viele hätten nicht die Zeit und die Lust, sich jährlich mit dem Angebot von 61 Krankenkassen herumzuschlagen. Zudem brauche es nicht 61 Direktoren, Managements und Verwaltungsräte. Vielmehr brauche es eine Führungsstruktur – bestehend aus Frauen und Männern.

Das sagen die Befürworter

Gegner halten an heutigem System fest

Die Gesundheitskommission des Nationalrats hatte das Begehren zuvor bereits mit 16 gegen 7 Stimmen bei einer Enthaltung abgelehnt. Die Mehrheit der Kommission war der Auffassung, dass sich das heutige System mit einem regulierten Wettbewerb und der Wahlfreiheit bewährt habe, auch wenn es noch Optimierungsbedarf gäbe.

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Im internationalen Vergleich stehe das schweizerische Gesundheitswesen sehr gut da, konstatierte die Kommission. Dem pflichteten auch die Gegner der Initiative im Nationalrat bei. Das Ausland würde die Schweiz um ihr System beneiden, sagte Ruth Humbel Näf (CVP/AG). Ein Systemwechsel dränge sich deshalb nicht auf.

Zudem wäre ein solcher mit erheblichen Transaktionskosten und Risiken verbunden. Humbel Näf ebenso wie Toni Bortoluzzi (SVP/ZH) sprachen von bis zu zwei Milliarden Franken, die der Wechsel zu einer Einheitskrankenkasse kosten würde.

Nicht Wettbewerb schuld an Kostenanstieg

Ulrich Giezendanner (SVP/AG) ging gar noch einen Schritt weiter: Er war der Meinung, die ganze Welt müsse das gut funktionierende bisherige Krankenkassenmodell der Schweiz kopieren. Denn: «Planwirtschaft führt überall auf der Welt zum Bankrott.» Sein Parteikollege Jürg Stahl (SVP/ZH) ergänzte: «Die Einheitskasse ist eine Fehldiagnose.»

Mehrere Redner brachten weitere Gründe gegen die Einheitskasse an: Die Verwaltungskosten der Versicherer lägen heute bei tiefen 5,6 Prozent. Die wichtigsten Kostentreiber im Gesundheitswesen seien die steigende Lebenserwartung, der medizinische Fortschritt und die höheren Ansprüche der Patienten. Daran werde sich auch mit einer Einheitskasse nichts ändern.

Zudem würden Innovationen unterbunden, meinten die Gegner. Es gebe etwa keinen Anreiz, neue Versicherungsmodelle wie Tele-Medizin oder Hausarztmodelle zu schaffen. Auch dass mit einer Einheitskasse Kosten gespart werden könnten, ist umstritten.

Das sagen die Gegner

Zuletzt nahm Gesundheitsminister Alain Berset Stellung. Er habe heute mehrfach gehört, dass die Schweiz das beste System habe. Natürlich gäbe es Verbesserungspotenzial. Doch der Wettbewerb müsse spielen – bei der Qualität der Leistungen und bei der Kostenkontrolle, und nicht bei der Jagd nach guten Risiken, sagte der Bundesrat.

Vorlage im Ständerat chancenlos

Einige Parlamentarier hätten angeführt, dass das Gesundheitssystem zwar gut, aber auch teuer sei. Dem pflichte er bei, so Berset. Doch das werde auch mit einer Einheitskasse so bleiben. Denn der Wettbewerb sei nicht verantwortlich für die steigenden Kosten. Vielmehr sei es die steigende Lebenserwartung der Menschen.

Berset verlangte vom Nationalrat, dass er Bestrebungen, die Gesundheitskosten zu senken, unterstützt. Es habe schon Motionen gegeben, welche vom Bundesrat vorgeschlagene Massnahmen gestoppt hätten. Das sei der falsche Weg. «Ich will auf Ihre Unterstützung zählen.»

Der Ständerat hat sich schon im vergangenen Dezember mit der Initiative befasst. Sie hatte in der kleinen Parlamentskammer nicht den Hauch einer Chance. Nur 12 Ständeräte empfahlen sie dem Volk zur Annahme. 28 wollten nichts von einer Einheitskrankenkasse wissen.

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