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Einsatz wegen Martin Sellner So schätzt ein Rechtsexperte die Polizeiaktion in Tegerfelden ein

Am Samstag sorgte eine Veranstaltung von Rechtsextremen für Aufsehen im Kanton Aargau. Eine rechtliche Einordnung.

Was ist passiert? Am Wochenende sorgte der Auftritt des Österreichers Martin Sellner an einer Veranstaltung für einen Polizeieinsatz in Tegerfelden (AG). Noch bevor er seinen Vortrag beginnen konnte, führte ihn die Kantonspolizei Aargau ab und nahm ihn für rund drei Stunden in Gewahrsam. Danach wurde er vom Kanton Aargau weggewiesen – zur Gewährung der öffentlichen Sicherheit. Denn mehrere hundert Personen, vornehmlich Linksextreme, wollten nach Tegerfelden reisen. Dies konnte durch die Polizei verhindert werden.

Die umstrittene Person Martin Sellner

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Ein Mann mit dunklem Haar
Legende: Der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner darf sich nun für eine Weile nicht mehr im Kanton Aargau aufhalten. Reuters/LISI NIESNER

Martin Sellner ist der ehemalige Kopf der Identitären Bewegung in Österreich. Er referierte bei einem kürzlich bekanntgewordenen Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam (D) über « Remigration », also dass eine grosse Zahl von Menschen ausländischer Herkunft beispielsweise Deutschland verlassen sollen – auch unter Zwang.

Dies sorgte für grosse Empörung in Deutschland und international. Zahlreiche Menschen demonstrierten in den darauffolgenden Tagen gegen die Aussagen Sellners.

Warum stoppte die Polizei die Veranstaltung? Gemäss einer Sprecherin der Kantonspolizei Aargau hatte der Inhaber des Veranstaltungsortes den Organisatoren im Verlauf des Samstags eine Nutzung untersagt. Dieser Aufforderung wurde nicht Folge geleistet. Daraufhin kontaktierte der Mann die Kantonspolizei.

Wie reagierten die anwesenden Personen? Zur Veranstaltung hatte die rechtsextreme Organisation «Junge Tat» eingeladen . Die Gruppierung kritisierte unter anderem auf Telegram das Vorgehen der Polizei. Sie beriefen sich auf das Recht zur freien Meinungsäusserung. Diese sei mit der Polizeiaktion verletzt worden, so die Gruppierung.

Stimmt das? «Grundsätzlich ist es richtig, die Meinungsfreiheit schützt absolute Minderheitsmeinungen. Und sie schützt auch provozierende, schockierende Aussagen», sagt Patrice Martin Zumsteg, Rechtsanwalt sowie Dozent für Grundrechte, Sicherheitsrecht und Recht des öffentlichen Raums an der ZHAW gegenüber SRF. «Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte macht eine Ausnahme dort, wo es um die Verharmlosung der Naziverbrechen geht. Aber wenn Sie sagen, ‹alle Ausländerinnen und als Ausländer müssen das Land wieder verlassen›, ist das grundsätzlich eine Äusserung, die von der Meinungsäusserungsfreiheit geschützt wird.»

Wie steht es um weitere Rechte? Hierbei spielt weniger die Meinungsäusserungsfreiheit eine Rolle, sondern die Versammlungsfreiheit, wie Rechtsdozent Zumsteg sagt: «Wenn die Polizei eine Versammlung, die im Privaten stattfindet, auflöst, dann greift sie in das Grundrecht ein. Das ist zulässig, solange es eine gesetzliche Grundlage gibt.» Dies ist für Zumsteg im vorliegenden Fall gegeben: «Wenn in einem Dorf hundert Rechtsextremisten und hundert Gegendemonstranten, wovon einige wahrscheinlich noch polizeibekannte, gewalttätige Personen sind, aufeinanderzutreffen drohen, ist es zulässig, dagegen polizeilich vorzugehen – solange dies verhältnismässig geschieht.»

Darum musste die Aargauer Kantonspolizei so vorgehen

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Dass die Polizei erst die Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter abwarten musste und erst dann die Veranstaltung auflöste, mutet etwas eigenartig an.

Rechtsexperte Zumsteg erklärt den Hintergrund. Hätte die Veranstaltung im Kanton St. Gallen stattgefunden, hätte die dortige Kantonspolizei sich auf einen Artikel im Polizeigesetz berufen und die Veranstaltung auflösen können.

Die entsprechende Stelle (PG Art. 50quater* Abs. 1 «Veranstaltungsverbot») besagt, dass Veranstaltungen auf privatem Grund verboten werden können, «wenn eine schwere und unmittelbare Gefährdung oder Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht anders abgewehrt werden kann oder Anzeichen bestehen, dass es zu Verbrechen oder Vergehen kommen könnte».

Auf dieses Instrument konnte sich die Kantonspolizei Aargau nicht zurückgreifen, qua das Vorgehen.

Hätte der Bund Sellner die Einreise verbieten müssen? Am Montag kritisierte der Sicherheitsvorsteher des Kantons Zürich, Mario Fehr, dass Sellner überhaupt einreisen durfte. So sagte er dem «Tages-Anzeiger»: «Die kantonalen Polizeikräfte haben angesichts der steigenden Deliktzahlen Gescheiteres zu tun, als provokative Veranstaltungen von Rechtsextremen zu verhindern. Solche Veranstaltungen müssen vom Bund durch Einreisesperren im Keim erstickt werden.»

Stellungnahme Fedpol

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«Einreiseverbote richten sich gegen Personen, die eine konkrete und aktuelle Bedrohung der inneren oder äusseren Sicherheit der Schweiz darstellen. Das geht über die blosse Äusserung kontroverser Ansichten hinaus», schreibt ein Mediensprecher des Fedpols auf Anfrage von SRF.

So bezieht sich auch der Bund auf den Schutz der Meinungsfreiheit: «Meinungen, sofern sie nicht mit Aktivitäten verbunden sind, die eine konkrete Gefahr darstellen oder strafrechtlich relevant sind, begründen für sich allein keine Gefährdung der inneren oder äusseren Sicherheit und damit den Erlass eines Einreiseverbots.»

Wäre ein Einreiseverbot überhaupt umsetzbar gewesen? Rechtsexperte Zumsteg ist dabei skeptisch: «Ob man da wirklich Aufwand gespart hätte, wenn man ein Einreiseverbot verhängt hätte, ist fraglich. Zwischen Österreich und der Schweiz gibt es zahlreiche Punkte, wo Sellner unkontrolliert über die Grenze hätte spazieren können. Und er ist ja kein Elon Musk, den man überall erkennen würde.»

SRF 4 News aktuell, 16.03.24 21 Uhr

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