Suizidversuch oder häusliche Gewalt: Wenn Eltern wegen einer schwierigen Situation im Notfall eines Spitals landen, dachte bisher oft niemand an die Kinder. Neu klären die Notaufnahmen im Kanton Zürich systematisch ab, ob minderjährige Kinder im selben Haushalt leben und betreut werden müssen.
Früher fragte man Patienten, ob sie ein Haustier zu Hause haben. Nach Kindern wurde nicht gefragt.
Georg Staubli, Chefarzt der Notfallstation und Leiter der Kinderschutzgruppe des Kinderspitals Zürich, erfuhr im Gespräch mit den Kolleginnen und Kollegen auf Notfallstationen, dass Kinder oft vergessen gingen. «Früher fragte man Patienten etwa, ob sie ein Haustier zu Hause haben. Nach Kindern wurde nicht gefragt», sagt er. «Das fand ich erschreckend.»
Deshalb lancierte Staubli das Projekt SPEK, das diese Kinder besser schützen soll: «Screening von Patienten auf Erwachsenennotfallstationen bezüglich Kindswohlgefährdung». Vorbild dafür ist ein erfolgreiches Projekt aus den Niederlanden. Bereits 2019 startete Staubli SPEK im Kanton Zürich mit drei Spitälern. Zusammen mit Mitgliedern der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) besuchte er jeweils die Notfallstationen und erklärte, worum es beim Projekt geht.
Wegen der Corona-Pandemie kam es zu Verzögerungen. Seit 2024 haben alle Erwachsenennotaufnahmen im Kanton Zürich SPEK eingeführt. Sie achten nun darauf, Erwachsene im Notfall immer auf Kinder im selben Haushalt anzusprechen. Sind Kinder da, die allenfalls gefährdet sind, schaltet das Spital die Kesb ein.
38 Meldungen – dank Projekt
Im Jahr 2024 gab es laut Staubli dank SPEK 38 Meldungen wegen möglicher Kindsgefährdung an die Kesb. Zum Beispiel eben, wenn eine Mutter wegen häuslicher Gewalt im Spital gelandet ist. Früher sei diese einfach medizinisch versorgt worden. Heute frage man, ob Kinder da seien. «Wird diese Frage bejaht, weist man die Frau darauf hin, dass Kinder keine häusliche Gewalt miterleben sollten und eine Meldung an die Kesb erfolgt», sagt Staubli.
Die Kesb kümmere sich schnell um diese Fälle, sagt Käthi Dellenbach, Behördenmitglied der Kesb der Stadt Zürich. In einem ersten Schritt würden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter die Familiensituation abklären. «Sie sprechen mit der Familie, den Kindern oder der Schule. Dann schauen sie, welche Massnahmen es braucht.» Das könne beispielsweise eine Beistandschaft sein oder eine andere Kindesschutzmassnahme. Vielleicht brauche es aber auch keine weitere Unterstützung, falls es sich um eine einmalige Sache handelte.
Nicht immer würden diese Abklärungen bei den Eltern gut ankommen, sagt Dellenbach. Doch sie sagt auch: «Wenn Kinder betroffen sind, klären wir lieber einmal mehr ab, als zu wenig.»
Projekt auch auf Psychiatrien ausweiten
Georg Staubli vom Kinderspital Zürich ist zufrieden mit den bisherigen Erfahrungen des Screenings. Nun möchte er das Projekt ausbauen und auf Psychiatrien ausweiten. «Überall, wo Kinder mitbetroffen sind und psychischen Schaden davontragen könnten, wollen wir präventiv arbeiten», sagt er. Damit man die Kinder schützen und die Familien unterstützen könne.
Neben dem Kanton Zürich hat 2021 auch der Kanton Luzern SPEK eingeführt. Staubli hofft, dass auch andere Kantone nachziehen werden.