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Emissionen von Privatpersonen Wirkung des freiwilligen Klimaschutzes wird teils überschätzt

  • Aufs Fliegen verzichten oder kein Fleisch mehr essen: Wie in vielen Bereichen setzt die Schweiz beim Klimaschutz auf Freiwilligkeit.
  • Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat untersucht, welchen Anteil zum Klimaschutz freiwillige Massnahmen im Vergleich zu politischen Massnahmen leisten können.
  • Das Resultat der Studie: Freiwillige Massnahmen werden die CO₂-Emissionen um etwa 20 Prozent senken. Für den Rest sind politische Massnahmen nötig.

Statt auf Gesetze und Vorschriften setze man in der Schweiz beim Klimaschutz meist auf Eigenverantwortung, stellt Jürg Rohrer, Dozent für erneuerbare Energien an der ZHAW in Wädenswil fest. «Da wir in der Schweiz nach 20 Jahren Klimapolitik nicht speziell gut dastehen, haben wir uns gefragt, wie weit Eigenverantwortung von Privatpersonen beim Klimaschutz überhaupt wirksam sein könnte.»

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Unter dem Strich stossen Schweizerinnen und Schweizer pro Jahr rund 13.6 Tonnen Treibhausgase aus. Wer sich konsequent klimafreundlich verhalte, könnte diesen sogenannten Klima-Fussabdruck um die Hälfte reduzieren – theoretisch. In der Praxis würden aber nie alle freiwillig zum Beispiel aufs Fliegen verzichten. 

Fünf Fahrräder stehen in einem Fahrradständer.
Legende: Klimafreundliches Verhalten: Beispielsweise Velo statt Benzinauto fahren oder sich vegan ernähren. Keystone

Kommt laut Jürg Rohrer dazu, dass wir einen grossen Teil der Emissionen nicht individuell beeinflussen können. Beispielsweise die Emissionen der öffentlichen Verwaltungen, die Herstellung von Konsumgütern, die Beheizung von Mietwohnungen.

Politische Massnahmen sind nötig

Mit freiwilligen Massnahmen könnten realistischerweise nur rund ein Fünftel der Treibhausgas-Emissionen reduziert werden. Für den Rest sind politische Massnahmen nötig. Solche hätten es aber bisher schwer gehabt in der Schweiz, sagt Felix Nipkow, Leiter Erneuerbare Energien bei der atomkraftkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung.

«In Abstimmungskampagnen wird oft auf Eigenverantwortung verwiesen, obwohl klar ist, dass politische Massnahmen unverzichtbar sind für den Klimaschutz», sagt Nipkow. Nur wenn die Politik den Umstieg von Öl- oder Gas auf erneuerbare Heizungen oder den Ausbau der Solarenergie aktiv fördere, könne der Klimaschutz genügend beschleunigt werden.

Patrick Dümmler, Forschungsleiter bei der Liberalen Denkfabrik, setzt grundsätzlich auf Freiwilligkeit. Er betont aber, «liberal» heisse nicht ausschliesslich freiwillig: «Gerade bei der Klimathematik stellt man fest, dass das Verbrennen fossiler Energieträger eben nicht mit den Preisen abgegolten wird, die es haben sollte.»

Wenn man heute fossile Energieträger benutze, verursache man Kosten für die gesamte Gesellschaft. «Ökonomisch spricht man hier von einem Marktversagen. Das rechtfertigt auch in einem liberalen Weltbild einen staatlichen Eingriff», sagt Dümmler.

Mehr staatliche Eingriffe?

Benzin, Öl und Gas müssten also verteuert, die sogenannte Kostenwahrheit hergestellt werden. Schärfere staatliche Eingriffe – wie Gebote oder Verbote – lehnt Dümmler jedoch ab. Solche seien leider nötig, entgegnet Nipkow. Weil Massnahmen zur Herstellung der Kostenwahrheit – so effizient sie eigentlich wären – politisch in der Regel keine Chance haben. 

Politische Massnahmen seien aber auch wichtig, damit diejenigen, die sich freiwillig klimafreundlich verhalten, nicht resignierten. Freiwilliges Engagement für den Klimaschutz – da sind sich alle Befragten einig – bleibe wichtig, auch wenn die Wirkung da und dort überschätzt werde.

Vier Kinderhände halten in einem Wald einen farbigen Globus.
Legende: «Wenn politische Massnahmen beschlossen werden, wird es normaler, sich freiwillig für Klimaschutz einzusetzen – weil der allgemeine Trend in diese Richtung geht und sich mehr Leute sozusagen gezwungenermassen am Klimaschutz beteiligen», sagt Nipkow. imago images

Echo der Zeit, 23.11.2021, 18:00 Uhr

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