Es ist Sonntag, 13. Juni 2021: Das Schweizer Stimmvolk hat gerade eben über die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative abgestimmt – und beide mit über 60 Prozent Nein-Stimmen verworfen. Der Bundesrat könnte zufrieden sein, er hat sich für ein solches doppeltes Nein eingesetzt.
Trotzdem ist Wirtschaftsminister Guy Parmelin nicht in Feierlaune, als er nach der Abstimmung vor die Medien tritt. «Es war ein sehr emotionaler Abstimmungskampf», sagt er und fordert die Befürworter und Gegner der Initiative auf, sich nun aufeinander zuzubewegen. «Dazu braucht es gegenseitiges Vertrauen.»
Gegenseitige Versprechen
Die Gehässigkeit, mit der dieser Abstimmungskampf geführt wurde, hat die Schweiz tatsächlich noch selten erlebt. Auf beiden Seiten wurden Wahlplakate zerrissen und angezündet. Nationalrat Kilian Baumann (Grüne/BE) wurde in einem anonymen Brief sogar zum Selbstmord aufgefordert.
Sowohl das Ja- als auch das Nein-Lager zeigten sich geschockt von diesen Aggressionen. Sie bekräftigten, dem Wunsch Parmelins Folge zu leisten und aufeinander zuzugehen. Jetzt ist über ein Jahr vergangen und mit der Massentierhaltungs-Initiative steht bereits die nächste Agrarinitiative an.
Zahmere Kampagne
Der Graben zwischen Ja- und Nein-Lager verläuft hier entlang ähnlicher Linien. Haben die Exponenten etwas gelernt aus dem letztjährigen Desaster? Geht es gesitteter zu und her? «Es ist überraschend ruhig im Moment», sagt Sandra Helfenstein. Sie ist Kommunikationsverantwortliche beim Bauernverband und hat die Nein-Kampagne zur Massentierhaltungs-Initiative mitgeprägt.
«Es scheint sachlicher abzulaufen», so Helfenstein. Darum habe man sich bemüht und bei der Ausgestaltung der aktuellen Kampagne die letztjährigen Entgleisungen vor Augen gehabt. «Wir haben grossen Wert daraufgelegt, nicht zu provozieren. Unsere Sujets sollen die Leute mit konkreten Fragen zum Nachdenken anregen.» Die aktuelle Kampagne mit den Emojis macht tatsächlich einen zahmeren Eindruck als das Sujet mit der Schweizerin, die am eigenen Ast sägt.
«Wir haben bewusst darauf geachtet, niemandem auf den Schlips zu treten», sagt Helfenstein. Sie erhoffe sich vom Abstimmungskampf, dass sachlich über die Tierhaltung geredet werden könne. Dann fügt sie an, sie hätten auch das letzte Mal nicht die Absicht gehabt, mit der Kampagne zu provozieren. «Wir waren uns nicht bewusst, wie hitzig es werden würde.»
Inhaltliche Gräben bleiben
Auch die Initianten der Massentierhaltung-Initiative bekräftigen, einen sachlichen Abstimmungskampf führen zu wollen. Im Vorfeld habe man das mit dem gegnerischen Lager abgesprochen, sagt Philipp Ryf, Leiter der Ja-Kampagne. «Wir sind mit dem Bauernverband zusammengesessen und haben eine gegenseitige Erklärung abgegeben, nicht auf den Mann zu schiessen.»
Es sei ihnen wichtig gewesen, dass sich die Kampagne nicht gegen die Bauern richte. «Wir wollen eher aufzeigen, dass die Schweizer Landwirtschaft von der Initiative profitieren könnte.»
Ryf erwähnt aber auch, dass die inhaltlichen Gräben nach wie vor gleich tief seien wie beim letzten Mal. Dass sich das Parlament nicht auf einen Gegenvorschlag zur Initiative einigen konnte, unterstützt diese Aussage. Die Frage, wie künftig Landwirtschaft betrieben werden soll, spaltet die Gesellschaft also weiterhin. Wenigstens der Umgangston scheint dieses Mal aber gesitteter.