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Entführungsserie 1980er-Jahre Nur bei vermissten Kindern darf die Polizei weiter ermitteln

Die Entführungsserie aus den 1980er-Jahren ist verjährt – die Polizei darf deshalb in diesen Fällen nicht mehr aktiv ermitteln. Einen gewissen Spielraum hat sie jedoch bei jenen Kindern, die bis heute als vermisst gelten.

Vor 40 Jahren verschwand in einem Walliser Dorf ein kleines Mädchen: Sarah Oberson. Bis heute fehlt von ihr jede Spur.

Sie war nicht das erste Kind, das in den 1980er-Jahren verschwand – und leider auch nicht das letzte. Insgesamt wurden in diesem Jahrzehnt 21 Kinder und Jugendliche mutmasslich entführt und getötet. Rund die Hälfte dieser Fälle bleiben bis heute ungeklärt.

Ein Mädchen lächelt in die Kamera
Legende: Die fünfjährige Sarah Oberson wurde am 28. September 1985 zum letzten Mal gesehen. KEYSTONE/Str

Die Kantonspolizei Wallis teilt auf Anfrage von SRF mit, dass sie im Fall Sarah Oberson weiterhin ermittelt. Innerhalb der Kriminalpolizei wurde dafür eine spezielle Ermittlungsgruppe gebildet, die auch moderne Technologien einsetzt.

Eigentlich verjährt Mord in der Schweiz nach 30 Jahren. Ab diesem Zeitpunkt dürfen die Behörden nicht weiter ermitteln. Warum also geht die Walliser Polizei im Fall Sarah Oberson trotzdem noch Spuren nach?

Mehr Spielraum bei Vermissten

«Die Polizei darf Hinweise entgegennehmen und diesen auch nachgehen, einfach nicht im Rahmen eines formellen Strafverfahrens», sagt Christoph Ill, Präsident der Schweizerischen Staatsanwaltschaftskonferenz.

Laut dem Polizeirechtsexperten Patrice Zumsteg von der ZHAW ist der Spielraum bei Vermissten grösser: «Die Polizei klärt nicht nur Straftaten auf, sie hat auch Sicherheitsaufgaben.» Und im Rahmen dieser Sicherheitsaufgaben dürfe sie nach vermissten Personen suchen. «Anders wäre es, wenn ihre Leiche gefunden würde und Spuren eines Tötungsdelikts aufwiese – dann wäre es eine Straftat und die Polizei dürfte heute nicht mehr ermitteln.»

Auch die Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten teilt mit, die Polizei könne Ermittlungen wieder aufnehmen, um den Angehörigen von Vermissten Antworten zu geben – unabhängig von der Verjährung.

Vermisst oder ermordet?

Die Unterscheidung zwischen einem Kriminalfall, bei dem die Polizei nach Ablauf der Verjährungsfrist nicht weiter ermitteln darf, und einem Vermisstenfall, dessen Akten dauerhaft offenbleiben, ist laut Zumsteg sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis umstritten. «Gibt es einen Anfangsverdacht für eine Straftat?» Diese Frage sei entscheidend, aber nicht immer einfach zu beantworten.

Bei den Kindsentführungen der 1980er-Jahre dürfte ausschlaggebend sein, ob eine Leiche gefunden wurde. «So schlimm es für die betroffenen Familien natürlich ist, gibt es bei diesen Kindern tatsächlich zwei Kategorien: die Vermissten und die Gefundenen», so Zumsteg.

Serie von Kindsentführungen in den 1980er-Jahren

Box aufklappen Box zuklappen

In den 1980er-Jahren wurden in der Schweiz 21 Kinder und Jugendliche mutmasslich entführt. Einige fielen einem Sexualverbrechen zum Opfer. Mehrere Täter konnten gefasst werden – darunter der Wiederholungstäter Werner Ferrari. Dennoch sind rund die Hälfte der Fälle bis heute ungelöst, und 7 Kinder gelten weiterhin als vermisst.

Ab den 1990er-Jahren riss die Serie abrupt ab. Seither sind Fälle, in denen Kinder von fremden Sexualtätern ermordet werden, äusserst selten. Eine bekannte Ausnahme ist der Mord an Ylenia im Jahr 2007 durch Hans von Aesch.

Auch in Deutschland ist die Zahl der Sexualmorde an Kindern seit den 1970er-Jahren deutlich zurückgegangen.
Bereits in den 2000er-Jahren beobachtete der renommierte Kriminologe Christian Pfeiffer, dass menschlichere Erziehungsmethoden, eine höhere soziale Kontrolle und verbesserte Ermittlungsarbeit zur Abnahme beigetragen haben.

Heute bringt es einem Täter kaum noch etwas, das Opfer zu töten, um es als Zeugen zu beseitigen – dank moderner DNA-Analytik und digitaler Spuren wird er trotzdem überführt.

Zudem hat sich die Pädokriminalität zunehmend ins Internet und ins Ausland verlagert, wo sie in Form von Cybergrooming oder Missbrauchsdarstellungen neue Herausforderungen für die Strafverfolgung darstellen.

Bei den gefundenen Kindern sei recht klar, dass sie ermordet wurden. «Deshalb gelten die Verjährungsfristen», so Zumsteg. Bei den vermissten Kindern hingegen könne man nicht ausschliessen, dass sie verunfallt oder weggelaufen seien – oder noch lebten.

Soldaten im Gelände
Legende: Am 1. Oktober 1985 suchten Rekruten der Schweizer Armee nach Sarah Oberson. Auch heute noch überprüft die Walliser Kantonspolizei jede neue Spur. KEYSTONE/Rene Ritter

Zumsteg hat Verständnis dafür, dass manche Familien der getöteten Kinder sich wünschten, auch bei ihrem Kind würde weiter ermittelt. «Sie wollen wissen, wer ihr Kind umgebracht hat.» Allerdings hätten sie wenigstens – so schlimm das auch sei – ihr Kind beerdigen können. «Die Familien der Vermissten fragen sich wohl: Lebt mein Kind noch? Laufe ich ihm über den Weg? Erkenne ich es dann?»

Die Ungewissheit sei noch grösser, deshalb findet es Zumsteg gerechtfertigt, dass die Polizei trotz Verjährung weitersuchen darf. Auch die Kantonspolizei Wallis sagt: «Wir ermitteln weiter, um der Familie von Sarah eine Antwort zu geben.»

Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 26.09.2025, 17:30 Uhr;liea

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