Seit Ende der 1990er-Jahre schicken die Behörden Schülerinnen und Schüler mit Beeinträchtigungen, Lernproblemen oder Verhaltensauffälligkeiten nicht mehr automatisch an Sonderschulen. Sie integrieren sie vermehrt in normale Klassen, wo sie zusätzlich unterstützt werden, beispielsweise von Logopädinnen, Heilpädagogen oder Klassenassistenzen. Das Übereinkommen der UNO über die Rechte von Menschen mit Behinderungen schreibt das so vor.
Im Falle eines Knaben aus St. Margrethen, der mit Trisomie 21 lebt und sprachlich eingeschränkt ist, entschieden die Behörden jedoch gestützt auf eine schulpsychologische Abklärung, dass der Junge eine heilpädagogische Schule besuchen soll. Dagegen wehrten sich die Eltern bis vor Bundesgericht. Sie finden, der Besuch der normalen Schule sei besser für die Entwicklung ihres Kindes.
Weil sich die Richterinnen und Richter über diesen Fall nicht einig sind, kommt es heute zu einer öffentlichen Beratung. Die vom Gericht dargelegten Argumente dürften auch andere Kantone interessieren – denn das Thema ist ein Politikum.
Streit um Sonderklassen
Immer häufiger verlangen überlastete Lehrpersonen, dass manche Kinder mit Beeinträchtigungen separat unterrichtet werden sollen. In Basel-Stadt gibt es Bestrebungen, wieder Sonderklassen einzuführen; auch andere Kantone diskutieren darüber.
Diese Sonderklassen – auch Kleinklassen oder Förderklassen genannt – haben im Unterschied zu heilpädagogischen Schulen den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schüler in den Pausen weiterhin mit Kindern der Regelschule spielen können. Nur der Unterricht findet separat statt.
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Behindertenorganisationen sind allerdings der Meinung, dass gestützt auf die Behindertenrechtskonvention ein Anspruch auf einen normalen Schulbesuch mit Unterstützungsleistungen besteht.
Die Kantone handhaben das bisher sehr unterschiedlich. Nicht nur unterscheiden sich die Angebote von Kanton zu Kanton, sondern auch die Zahlen: Während im Kanton Nidwalden 80 Prozent der Kinder mit sonderpädagogischen Bedürfnissen in Regelklassen unterrichtet werden, besuchen im Kanton Schaffhausen rund 85 Prozent dieser Kinder eine Sonderschule.
Ein Urteil des Bundesgerichts könnte Klarheit bringen, welches Angebot die Kantone im Mindesten bieten müssen, um der Behindertenrechtskonvention gerecht zu werden.
Bisherige Rechtsprechung ist eher zurückhaltend
Es ist nicht der erste vergleichbare Fall vor Bundesgericht. In früheren Fällen hat das Gericht zwar bestätigt, dass die Integration in die Regelschule grundsätzlich Vorrang vor der Sonderbeschulung hat.
Das bedeute aber nicht, dass ein Anspruch darauf bestehe, eine normale Schule zu besuchen. Auch seien Sonderschulen nicht per se unzulässig, sie hätten nämlich auch Vorteile, zum Beispiel könne individueller auf die Bedürfnisse des Kindes eingegangen werden.
Entscheidend für die Einteilung an eine Regel- oder Sonderschule ist laut Bundesgericht das Wohl des betroffenen Kindes. Aber es erlaubte auch andere Überlegungen: zum Beispiel finanzielle Interessen des Gemeinwesens oder die Frage, ob das Kind den Unterricht erheblich stört.