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Entscheid im Nationalrat Organspende soll zur neuen Normalität werden

«Hallo, hier ist Stephi vom Universitätsspital Zürich. Ich habe einen potenziellen Organspender und würde gerne eine Registerabfrage machen.» Dass diese Registerabfrage im nationalen Organspendenregister von Swisstransplant tatsächlich einen Treffer generiert – das ist heute selten.

Noch gilt die Zustimmungslösung

Bis jetzt haben sich erst rund 100'000 Personen in der Schweiz in das Spendenregister eingetragen. Dies stellt die Intensivmedizinerinnen und -mediziner des Universitätsspitals Zürich vor eine grosse Herausforderung.

Denn heute gilt in der Schweiz die Zustimmungslösung: Wer zu Lebzeiten nicht festgehalten hat, ob er seine Organe spendet oder nicht, dem werden keine Organe entnommen. Ausser, die Angehörigen willigen in eine Organspende ein.

Für das Universitätsspital Zürich bedeutet das konkret: nur in einem Drittel der Fälle lässt sich klar feststellen, ob die verstorbene Person einer Organspende explizit zustimmte. Dann nämlich, wenn sie eine Patientenverfügung besitzt, welche die Organspende regelt, wenn sie einen Organspendeausweis bei sich trägt, oder im nationalen Register eingetragen ist. Bei einem weiteren Drittel kann der Wille in einem intensiven Gespräch mit den Angehörigen evaluiert werden. In einem letzten Drittel müssen sich die Angehörigen entscheiden, ohne zu wissen, was der tatsächliche Wille der verstorbenen Person ist.

In diesen Fällen, sagt Renato Lehnherr, «ist unsere Erfahrung, dass wir gerade in diesem letzten Drittel keine einzige Zustimmung zu einer Organspende haben». Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass sich die Angehörigen in diesem Moment in einer absoluten Ausnahmesituation befänden, «sie haben jetzt erfahren, dass ihr Liebster tot ist und in einem solchen Zustand kann man nicht rational entscheiden.»

Aus der Überforderung werde dann schnell einmal der Weg gewählt, «von dem man denkt, dass es sicher kein Fehler ist und dann entscheidet man sich gegen eine Organspende.»

Widerspruchslösung als Paradigmenwechsel

Und genau hier setzt die Volksinitiative mit dem Titel «Organspende fördern – Leben retten» an. Sie fordert einen Wechsel von der Zustimmungslösung hin zur Widerspruchslösung. Wenn die Person nicht explizit eine Organspende ausschliesst soll in Zukunft angenommen werden, dass sie mit einer Organspende einverstanden ist. Und damit würde die Organspende zur neuen Normalität.

In den Köpfen wird ein Schalter umgelegt. Das Normale ist, dass man eine Organspende macht.
Autor: Renato Lehnherr Intensivmediziner Universitätsspital Zürich

Dem Bundesrat geht diese Regelung etwas zu weit, er hat einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet. Dieser sieht vor, dass die Angehörigen einbezogen werden, sie erhalten ein Vetorecht. Der Nationalrat hat sich in seiner heutigen Debatte grundsätzlich für einen Systemwechsel hin zur Widerspruchslösung ausgesprochen. Er sprach sich sowohl für die Initiative als auch für den Gegenvorschlag aus. Davon verspricht man sich am Universitätsspital Zürich viel. Denn momentan sind die jährlichen Organtransplantationen in der Schweiz trotz zahlreicher Kampagnen immer noch sehr tief.

Intensivmediziner Lehnherr ist aber überzeugt, dass dieser Paradigmenwechsel zu mehr Organspenden führen würde, denn es würde ein Umdenken stattfinden. «An unserem Prozess würde es nicht viel ändern. Aber in den Köpfen wird ein Schalter umgelegt. Das Normale ist, dass man eine Organspende macht», sagt Renato Lehnherr.

So wäre das Telefon ans nationale Spendenregister auch in Zukunft ein fester Bestandteil des Prozesses, dann aber vielleicht mit einem anderen Resultat.

Tagesschau, 05.05.2021, 19:30 Uhr

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