Über 1000 Fälle von Missbräuchen in den vergangenen 70 Jahren: Die Missbrauchsstudie zur römisch-katholischen Kirche hat Schockwellen durch die Schweiz gesendet. Zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger nehmen die Erkenntnisse zum Anlass, der Kirche den Rücken zu kehren, wie eine Umfrage bei Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz zeigt.
In Basel-Stadt ist die Zahl der Kirchenaustritte nach Veröffentlichung der Studie klar angestiegen. In rund zwei Wochen gab es 140 Austritte, wie die römisch-katholische Kirche Basel-Stadt schreibt. Normalerweise gebe es pro Monat rund 50 Austritte.
Entsetzen über Missbrauchsfälle
Barbara Kückelmann, Pastoralverantwortliche beim Bistum Basel, bedauert die Austritte. Sie nimmt Empörung und Entsetzen bei den Angehörigen der katholischen Kirche wahr. «Wir merken, dass viele Engagierte oder Kirchenmitglieder tief verunsichert sind», sagt sie gegenüber der «Tagesschau».
Die Wahrnehmung der Kirche der Leute und das Bild, das die Studie zeigt, würden nicht zusammenpassen, sagt Kückelmann. «Diese Realität zusammenzubringen, ist für viele echt schwierig.» In der Kirche brauche es darum jetzt einen Wandel.
Auch die römisch-katholische Kirche in Basel-Landschaft stellt einen Anstieg der Austritte fest, ohne genaue Zahlen zu nennen. Während sich bis anhin mehrheitlich Jüngere für diesen Schritt entschieden hätten, «so treffen aktuell auch Austrittsschreiben langjähriger Kirchenmitglieder ein», heisst es bei der Kirche.
Dass nun auch ältere Personen austreten, überrascht das Stadtpfarramt in Baden . Momentan gebe es dort 20 bis 25 Austritte pro Woche, normalerweise gebe es dies nur ein- bis zweimal pro Woche. Auch zwei Pastoralräume im Kanton Solothurn berichten über mehr Austritte als üblich.
Online-Dienst vermehrt beansprucht
Dass jetzt mehr Menschen aus der Kirche austreten wollen, spüren auch jene, die dabei Hilfe leisten. Da ist zum Beispiel der Verein «Kirchenaustritt», der auf seiner Website ein Austrittsformular oder Briefvorlagen anbietet. Nach Veröffentlichung der Studie habe es im Vergleich zum Vorjahr zehn bis 15 Mal mehr Zugriffe auf die Webseite gegeben, sagt Vereinsgründer Stefan Amrein. «So hoch wie in diesen Tagen war die Nachfrage noch nie.»
Über zwei Wochen später seien die Zugriffszahlen nach wie vor höher als normalerweise. Dabei würden die vielen Medienberichte über die Missbrauchsfälle weitere Schübe auslösen, sagt Amrein. «Oft rufen dann Gläubige an, die schon länger mit dem Gedanken spielen auszutreten.»
Im Kanton Zürich gab es in den vier grössten Kirchgemeinden – Zürich, Winterthur, Uster und Dübendorf – in den zwei Wochen nach der Publikation 778 Austritte. Das sind so viele, wie normalerweise innert drei Monaten.
Eine Häufung von Austritten gibt es auch in der Stadt St. Gallen : 120 innert zwei Wochen statt 25 wie normalerweise. In Frauenfeld gab es in derselben Zeitspanne 56 Austritte, sonst sind es pro Woche 10.
Die Tendenz zeigt sich auch im Kanton Wallis , wo zwei Drittel der Bevölkerung der römisch-katholischen Kirche angehören. Die Pfarreien von Brig, Naters und Visp rechnen normalerweise mit zehn Austritten pro Jahr. Jetzt sind in zwei Wochen so viele Menschen ausgetreten.