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Erbgut des Virus erforschen Schweiz sequenziert weniger Corona-Proben als andere Länder

In der Schweiz werden pro Woche rund 2000 positive Corona-Proben sequenziert. Grossbritannien und andere europäische Länder sind aktiver, um dem Erbgut des Virus auf die Spur zu kommen.

Nur wenige spezialisierte Labors und Institute in Zürich, Basel und Genf sind personell und technisch imstande, Corona-Proben im grossen Stil zu sequenzieren, also Erbgut des Virus zu entschlüsseln. Vorn dabei ist das Functional Genomics Center der ETH Zürich, landet doch hier gut die Hälfte der Proben. Chef Ralph Schlapbach und sein Team arbeiten auf Hochtouren daran, den Varianten möglichst schnell auf die Spur zu kommen.

Davon gibt es gleich mehrere, wie der Biochemiker erklärt. «Die ursprünglichen Stämme sind fast nicht mehr vorhanden. Diese sind von der britischen Variante verdrängt worden. Wir haben eine südafrikanische, brasilianische und – rapide zunehmend – die indische.»

Nach rund zwei Wochen liegen Schlapbach die Resultate einer Sequenzierung vor. Er hält Sequenzieren für unerlässlich. «Zum einen können wir genau feststellen, mit welcher Variante, welcher Mutante jemand infiziert wurde. Auf der anderen Seite können wir es als Frühwarnsystem verwenden. Wir sehen, welche Varianten sich in gewissen Regionen zu bestimmten Zeiten durchsetzen.»

Wir sehen, welche Varianten sich in gewissen Regionen zu bestimmten Zeiten durchsetzen.
Autor: Ralph Schlapbach Biochemiker

10 Millionen für Überwachungsprogramm

Aktuell sequenziert die Schweiz pro Woche rund 10 Prozent der positiv getesteten Fälle. Dies entspricht dem von der Weltgesundheitsorganisation WHO definierten Ziel. Derzeit stehe man bei fast 20 Prozent, teilt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf Anfrage mit.

Sequenzieren ist teuer, deshalb dürfte der Prozentsatz kaum ansteigen. Bis zum nächsten Frühling hat der Bund 10 Millionen Franken für das Überwachungssystem «Genome Sequencing Programme» bewilligt. Die Kantone überlassen das Sequenzieren und damit verbundene wissenschaftliche Studien dem Bund, wie Rudolf Hauri als Präsident der Vereinigung der Kantonsärztinnen und -ärzte der Schweiz festhält. Die sinkenden Fallzahlen zeigten, dass sich eine routinemässige Sequenzierung nicht aufdränge.

Unerlässlich trotz Impffortschritt

Bei der Sequenzierung liegt die Schweiz hinter Grossbritannien, Dänemark, Irland und Luxemburg zurück, aber noch vor allen anderen europäischen Staaten. Martin Ackermann, Leiter der Covid-19 Science Task Force, ist überzeugt, die Schweiz könne sich im internationalen Vergleich sehen lassen. «Tatsächlich tut England diesbezüglich noch mehr. Aber wir haben stark ausgebaut. Dies ist sehr wichtig für die Zukunft, um Varianten eng zu verfolgen.»

Auch aus epidemiologischer Sicht sieht das BAG keinen Anlass, die Sequenzierung flächendeckend einzuführen. «Wir sehen, dass sich die Situation global günstig entwickelt», sagt Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle. «Deshalb müssen wir nicht alle registrierten Fälle in der Schweiz einzeln sequenzieren.»

Dennoch gibt es allen Grund, die Sequenzierung zu intensivieren. Denn die neu auftauchende indische Variante gilt als mindestens so ansteckend wie die britische. Gewichtige Stimmen wie Tanja Stadler warnen ausdrücklich, nachlässig zu werden, auch wenn die Impfmaschinerie auf Touren kommt. «Wir müssen künftig sicherstellen», so die Biostatistikerin der ETH Zürich, «dass jede Virusprobe einer geimpften Person sequenziert wird. Dies erlaubt uns, Varianten, welche die Immunabwehr nach einer Impfung umgehen, schnell aufzuspüren.»

Tagesschau, 18.5.21, 19:30 Uhr

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