Er sei angestarrt worden, von allen: «Alle, Männer, Frauen, Kinder, Hunde, Katzen und andere Tiere, egal ob Wild- oder Haustiere, starrten mich an – die ganze Zeit», schreibt Vincent O. Carter in seinem «Bern Buch», in dem er seine Zeit als schwarzer Mann in Bern beschreibt, wo er bis zu seinem frühen Tod 1983 lebte.
«Ausser Botschaftsleuten war er der einzige Schwarze in Bern», erzählt seine damalige Lebenspartnerin Liselotte Haas. Die 87-Jährige erinnert sich anlässlich der Publikation der deutschen Übersetzung seines Buches zurück. Auf Englisch kam das Buch von Vincent Carter bereits 1970 heraus, geriet aber in Vergessenheit.
Der erste schwarze Mann in Bern
Der Beginn in Bern war harzig für Vincent Carter, der 1924 in Kansas City auf die Welt kam. Europa kannte er von seinem Einsatz in der Armee während des Zweiten Weltkriegs – 1944 landete er in der Normandie und kehrte später für Reisen zurück. 1953 nach Bern.
Viele Leute hatten Angst.
Bereits die Suche nach einem Zimmer in Bern war schwierig: «Das war für ihn ganz schlimm. Er hat unentwegt Absagen erhalten», erzählt seine Lebenspartnerin. Viele seien erschrocken ab dem schwarzen Mann: «Die Leute hatten Angst. Das war etwas Fremdes.»
«Nicht bösartig, aber respektlos»
Er habe ihr einmal erzählt, dass er beim Laufen durch die Stadt gefühlt habe, wie ihm jemand von hinten in die Haare greife: «Es war eine hübsche junge Frau, die nur einmal schauen wollte, wie sich krauses Haar anfühle», sagt Liselotte Haas. Man habe das nicht gekannt, es habe zu dieser Zeit sonst keine Schwarzen auf der Strasse gehabt. «Das war nicht bösartig, aber ungeheuer respektlos.»
Carter produzierte auch Sendungen über schwarze Musik für Radio Bern. Dabei wollte er auch Musik von jüngeren Schwarzen spielen, die nicht die «typische, schwarze» Musik verkörperten: «Da ist er auf Granit gestossen», erzählt Haas, weshalb er aufhörte.
Carter sprach Berndeutsch
Liselotte Haas arbeitete ebenfalls eine Zeit lang beim Radio, musste englische Schallplatten vorstellen und nahm deshalb Englischunterricht bei Carter. So lernten sich die beiden kennen. Sie entdeckte bei ihm Schallplatten von Komponisten wie Béla Bartók, Erik Satie, Debussy oder Mahler: «Meine Freunde kannten diese Musik nicht», sagt die damalige Tänzerin.
Man hat das Gefühl, man fällt auf.
Sowieso: Sobald man sich mit Vincent Carter unterhielt, ihn im breitesten Berndeutsch sprechen hörte, habe sich das Denken über ihn komplett verändert. Er sei sehr sprachbegabt gewesen, habe nach einigen Jahren nicht nur Hochdeutsch, sondern auch Mundart gesprochen, erzählt Haas: «Die meisten waren sehr angetan von Vincent, weil er die Menschen liebte.»
Was bleibt heute?
Die Erfahrung, die Carter vor rund 70 Jahren machte, macht Saare Yosief teilweise auch heute noch. Der 28-Jährige ist in Bern geboren und aufgewachsen und ist Co-Präsident der Stadtberner Fachkommission für Migrations- und Rassismusfragen. Angestarrt werden passiere auch ihm noch. Wohl seltener als Carter, «aber es fühlt sich nicht gut an. Man hat das Gefühl, man fällt auf, aber kann niemandem die Schuld geben, da die Person nicht absichtlich starrt», erzählt Yosief.
In seinem Freundeskreis habe es auch immer noch Leute, die Mühe hätten, eine Wohnung zu finden – wegen des Namens beispielsweise. Es sei subtiler Rassismus, der nicht mehr alltäglich vorkomme, aber immer noch da sei.
Yosief appelliert darum an jede einzelne Person, vor allem an Weisse: «Sie sollen sich mit ihrer «Weissheit» auseinandersetzen und fragen, wieso Rassismus in unserer Gesellschaft ein Thema ist.» Man solle versuchen, die Strukturen aufzubrechen.