«Diese Stunde bringt etwas», sagt Vincenzo Merolillo. Er ist Lehrer an der Oberstufe in Gossau im Kanton St. Gallen. Seit einem Jahr ist hier die erste Unterrichtsstunde freiwillig. Erst ab halb neun müssen alle Schülerinnen und Schüler anwesend sein. Merolillo beschreibt die Klasse als «lebendiger». Auch die Diskussionen seien besser, wenn die Schule etwas später startet.
Das neue System bedeutet aber nicht, dass die Schülerinnen und Schüler weniger Zeit in der Schule verbringen. Die Stunden werden einfach anders verteilt. Wer möchte, kann auch bereits früher zur Schule kommen. Es gibt ein sportliches und ein musisches Angebot und begleitetes Lernen. Oder eben: Ausschlafen.
Von den rund 400 Jugendlichen kämen etwa 50 gerne früh, sagt Lehrerin Fiona Signer. Auch sie empfindet den Start in den Schulalltag mit dem neuen System als ruhiger, entspannter und friedlicher.
Das Kinderspital Zürich hat die Umstellung auf das neue System begleitet. Die wissenschaftliche Auswertung fehlt jedoch noch.
Vorteile des Ausschlafens sind schon lange bekannt
«Wir wissen von Studien, dass sich Jugendliche später am Morgen besser konzentrieren können als früh am Morgen», sagt Dagmar Rösler. Als Präsidentin des Lehrerinnen- und Lehrerverbands begrüsst sie den Versuch in Gossau. Aber: «Man muss bedenken, dass es sehr personalintensiv ist.»
Das neue Modell ist nicht gratis zu haben. Die Schulgemeinde hat das Team von rund 70 Lehrpersonen um eine Stelle aufgestockt. Und das in Zeiten des Lehrpersonenmangels. Einer der beiden Schulleiter, Roger John, sagt dazu: «Das haben wir unterschätzt. Da vieles freiwillig ist, gibt es auch entsprechend viele Möglichkeiten und Kombinationen.» Diese müssen sie alle abdecken. «Das hat uns viel mehr Zeit und Energie gekostet, als wir das am Anfang vermutet haben.»
Andere Schulen sind interessiert
Regelmässig melden sich andere Schulen aus der ganzen Schweiz in Gossau, die sich für das Modell interessieren. Das Gossauer Modell einfach zu kopieren, würde jedoch nicht funktionieren, ist Schulleiter Roger John überzeugt: «Ich glaube, die Stärke unseres Schulmodells ist die, dass wir es zusammen mit den Lehrerinnen und Lehrern entwickelt haben.» Die Lehrerschaft stehe also voll hinter dem neuen Schulsystem.
Andere Schulen könnten in seinen Augen zwar gewisse Dinge kopieren, umsetzen müsse es jedoch jede Schule für sich.