Wer sich noch an das Hochwasser 2005 erinnern kann, weiss, wie schlimm die Schweiz getroffen werden kann. Es könnte aber noch viel schlimmer kommen. Das hat das Mobiliar Lab für Naturrisiken der Universität Bern herausgefunden.
Das Ausmass des Jahrhundert-Hochwassers 2005
Sechs Menschen sind gestorben. Rund drei Milliarden Franken Schäden hat die Katastrophe damals verursacht. Doppelt so schlimm könnte hingegen ein künftiges Hochwasser sein, berechnete die Uni Bern, und dafür müsse man sich rüsten.
Zuschauen, wie die Schweiz überflutet wird
Bisher gibt es für solche Szenarien statische Gefahrenkarten. Dort ist eingezeichnet, welche Gebiete gefährdet sind. Die Forschenden der Universität haben nun aber ein dynamisches Tool entwickelt, das zeigt, wann und wo die Gewässer über die Ufer treten – über mehrere Regionen hinweg. «Wir können so das schlimmstmögliche Ereignis greifbar machen», sagt Professorin Olivia Romppainen.
Das Szenario ist plausibel, das zeigen unsere Daten.
In diesem Worst-Case-Szenario regnet es drei Tage heftig und vor allem an vielen Orten gleichzeitig. Nach dem Auftreten erster Überschwemmungen an einem Ort dehnt sich das Überschwemmungsgebiet sehr rasch aus. Innerhalb kürzester Zeit ist deshalb eine Vielzahl von Gebäuden betroffen. Zudem muss damit gerechnet werden, dass eine grosse Zahl von Personen evakuiert werden muss. Besonders betroffen wäre Burgdorf im Kanton Bern.
1 Milliarde Franken Schäden, alleine in Burgdorf
In der Region Burgdorf läuft das Worst-Cast-Szenario so ab: Der Pegel der Emme steigt um mehr als drei Meter an, der Fluss tritt über das Ufer und überflutet den ganzen Talboden.
19'000 Personen sind betroffen. Auch Gebäude würden beschädigt, einige Betriebe könnten nicht mehr produzieren, Spitäler und Altersheime müssten evakuiert werden, erklärt Andreas Zischg, Professor an der Universität Bern. Es gäbe Schäden von gegen einer Milliarde Franken, prognostizieren die Forschenden.
Weshalb mit dem Schlimmsten rechnen?
Ein solches, berechnetes Jahrtausend-Hochwasser gab es noch nie. Weshalb simulieren die Forschenden nun genau ein solches Schreckensszenario? «Damit sich die Blaulichtorganisationen darauf vorbereiten können», erklärt Andreas Zischg.
Man muss wissen, was das schlimmstmögliche Ereignis ist. Dann kann man sich darauf vorbereiten.
Die Idee des Forschungsteams ist es, dass nun diejenigen das Modell studieren, die bei Hochwasser im Einsatz stehen. Zum Beispiel wäre das Martin Rutschi, der Feuerwehrkommandant von Burgdorf. «Wir wären – auf Berndeutsch gesagt – am Arsch», so sein trockener Kommentar. «Bei so viel Regen: Wir wüssten nicht, wo zuerst anfangen.» Er sieht die Chance des Tools darin, bei vielen gleichzeitigen Schäden zu priorisieren.
Auch der Kanton Bern sieht im Tool eine Chance, sagt Anton Lüthi vom Amt für Bevölkerungsschutz. «Wir werden uns das sicher anschauen», sagt er. Es gebe regelmässig neue Hochwasser-Studien, die man analysiere und allenfalls auch Massnahmen ergreife. Grossflächig über den ganzen Kanton Bern hinweg sehe man aber aktuell – trotz dieser neuen Erkenntnisse – keinen Handlungsbedarf: «Die Wahrscheinlichkeit eines solchen Hochwassers ist so klein, dass das keinen Sinn macht.»
Wie gross die Eintretenswahrscheinlichkeit eines solchen Hochwassers genau ist, beziffern die Hochwasser-Modellierer Zischg und Romppainen nicht. Sicher ist einzig, dass die Wahrscheinlichkeit von Starkregen mit der Klimaerwärmung zunimmt.