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Felssturz in Kandersteg So können Geologen Felsstürze vorhersagen

Am Donnerstagnachmittag sind bei der Allmenalpbahn bei Kandersteg 15'000 bis 20'000 Kubikmeter Fels abgebrochen. Beim Sturz in die Tiefe wurde niemand verletzt. Auch die Häuser blieben verschont. Der Fels wurde seit Dezember von der Firma Geotest eng überwacht. CEO Daniel Tobler hatte vor dem Abbruch gewarnt. Er war beim Geschehnis zufällig vor Ort.

Daniel Tobler

Geologe

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Tobler ist Geologe und CEO der Firma Geotest. Das Unternehmen ist auf die Überwachung von Gestein spezialisiert.

SRF News: Wie zuverlässig kann die Fachwelt solche Felsstürze voraussagen?

Daniel Tobler: Das kommt immer auf den Mechanismus darauf an. Im aktuellen Fall war das Schadenpotenzial relativ weit weg. Dadurch konnten wir mit einfachen Messungen aus der Distanz sagen, dass aktuell eine kritische Phase herrscht. Man musste es nicht auf die Minute genau voraussagen.

Die aktuelle Lage in Kandersteg

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Beim Felssturz vom Donnerstag an der Allmifluh in Kandersteg ist auch ein Graben unterhalb eines Wasserfalls mit Geröll zugeschüttet worden.

Der Graben, in dem das Wasser des Wasserfalls abfliesst, wurde etwa zehn bis zwölf Meter hoch mit Gestein überdeckt, wie der Kandersteger Gemeinderatspräsident René Mäder gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-sda erklärt.

Fachleute seien daran zu schauen, wo das Wasser aus dem Gestein austrete und es in die richtige Richtung, also weg von Liegenschaften zu leiten. Der kleine Wasserfall führt aktuell wenig Wasser.

Am Montag will die Gemeinde mit Naturgefahrenexperten und Geologen abklären, ob an der Allmifluh wirklich das ganze instabile Felspaket runterkam.

Wie können Sie solche Felsstürze voraussagen?

Im Hintergrund gibt es ein geologisches Modell. Das steht im Zusammenhang mit Klüften im Gestein und mit dem Mechanismus – wir können davon ausgehen, wie sich das Gestein verhalten wird im Zusammenhang mit einem Abbruch, bei Wärmeeinbrüchen, bei drückendem Wasser in den Klüften.

Basierend auf Bewegungen kann ein Abbruchzeitpunkt prognostiziert werden.
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So kann man die Bewegungen mit Distanzmessungen oder mit anderen Messgeräten relativ zuverlässig erfassen. Basierend auf diesen Bewegungen kann ein Abbruchzeitpunkt prognostiziert werden. 

Absperrung auf der Strasse am Dorfrand von Kandersteg im Berner Oberland.
Legende: Die geologische Grunddisposition von Kandersteg ist prädestiniert für so grosse Felsstürze, sagt der Geologe Tobler. Keystone/Karin von Känel

Wann gelingen solche Voraussagen nicht?

Eine Prognose ist überall dort schwierig, wo es zu einem spontanen Abbruch ohne Bewegungen im Voraus kommt. Man weiss dann nicht richtig, wo oder wann man hinschauen muss. Man muss die Dispositionen finden und erkennen, wo und wann ein kritischer Punkt erreicht werden kann.

Hat der Klimawandel beim Felssturz in Kandersteg eine Rolle gespielt?

Nein, der Klimawandel hatte nichts damit zu tun. Das war ein normaler Verwitterungsprozess in einer Felswand. Mit der richtigen Grunddisposition zusammen wurde das Gestein geschwächt. In den letzten zwei Monaten hatten wir Frost- und Tauwechsel, die den Felsverband schwächten. An den letzten zwei Tagen oder am letzten Tag ist Wasser in den Felsen eingetreten. Das konnte den Felssturz auslösen.

Welchen Einfluss hat der Klimawandel grundsätzlich auf solche Felsstürze?

Mit der Erwärmung hat die Felssturzgefährdung in den Alpen a priori zugenommen. Früher gefrorene Bereiche tauen sukzessive auf. Eis und Permafrost mit stabilisierender Wirkung tauen auf. Wasser ist frei zugänglich. Bei fast allen Massenbewegungen in den Alpen ist Wasser eine treibende Kraft.

Klimawandel lässt Fels beim Oeschinensee wackeln

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Staub nach einem Felsschlag beim Oeschinensee.
Legende: Ein Fels beim Oeschinensee ist in Bewegung. Keystone/Peter Klaunzer (Symbolbild)

Oberhalb des Oeschinensees ist ein weiterer Fels in Bewegung. Der Klimawandel ist dafür mitverantwortlich, sagt Tobler. Der Fels liegt im Permafrostbereich. «Mit auftauendem Permafrost hat man instabile Gesteins- und Felsbereiche, die abstürzen können. Eine Erwärmung ist entscheidend in der Gesamtstabilitätsthematik.»

Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf Ihre Tätigkeit der Überwachung?

Die Überwachung kommt sicher an Grenzen. Doch in den letzten Jahren wurden neue Technologien entwickelt. Kritische Bereiche können mittels Satelliten und Drohnen aus der Distanz frühzeitig ermittelt werden. Durch grossflächige Analysen in den Alpen erkennen wir potenziell kritische Bereiche.

Wir müssen die Prozesse frühzeitig erkennen.
Autor:

Wir kennen viele Gebiete und daraus entstehen Prozessketten. Wir müssen die Prozesse frühzeitig erkennen, gerade, wenn sie bis in den Siedlungsraum kommen. Da ist man auf gutem Weg.

Das Gespräch führte Nina Gygax.

Update zum Felssturz

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Das herabgestürzte Felsgestein liegt knapp neben ein bis zwei Häusern auf einer Wiese.
Legende: (23.02.2023) Keystone/KARIN VON KAENEL

Beim Felssturz vom Donnerstag an der Allmifluh ist auch ein Graben unterhalb eines Wasserfalls mit Geröll zugeschüttet worden. Der Graben, in dem das Wasser eines Wasserfalls abfliesst, wurde etwa 10 bis 12 Meter hoch mit Gestein überdeckt, wie der Kandersteger Gemeinderatspräsident René Mäder der Nachrichtenagentur Keystone-sda sagte.

Die Schwellenkorporation in Kandersteg, die für den Schutz der Bevölkerung unter anderem vor Naturgefahren im Bereich des Wasserbaus verantwortlich ist, klärt die Lage zurzeit ab.

Laut Mäder schauen nun die Fachleute, wo genau das Wasser aus dem Gestein austritt. Zudem versuchen sie, dieses Wasser in die richtige Richtung – also weg von Liegenschaften – zu leiten. Der kleine Wasserfall führt aktuell wenig Wasser.

Zudem will die Gemeinde am Montag mit Naturgefahrenexpertinnen und Geologen abklären, ob an der Allmifluh wirklich das ganze instabile Felspaket herunterkam. Dies mache jedenfalls den Anschein, so Mäder.

SRF 4 News, 24.02.2023, 08:18 Uhr ; 

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