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Flüchtige Terrorverdächtige Schweiz hat die Spur von gefährlichen Dschihadisten verloren

Nach dem IS-Angriff auf ein Gefängnis in Nordsyrien hat das Aussendepartement «keine gesicherten Informationen» über Schweizer Terrorverdächtige.

Es scheint eingetreten, wovor die kurdische Selbstverwaltung in Nordsyrien jahrelang gewarnt hat: Der IS hat in einer Befreiungsaktion inhaftierten Kampfgenossen offenbar zur Flucht verhelfen können. Der Angriff auf die Haftanstalt mit über 4000 Insassen startete Ende Januar, tagelang dauerten die Gefechte an, Dutzende Menschen wurden getötet. Wie viele Insassen des Gefängnisses in der Stadt Hassakah genau ums Leben kamen und wie viele fliehen konnten, ist noch heute nicht bestätigt.

Wie Recherchen der Rundschau vor Ort und in Schweizer Sicherheitskreisen ergaben, scheint einzig im Fall des Waadtländer Dschihadisten Damien G. gesichert, dass er noch immer in einer kurdischen Haftanstalt sitzt. Zwei weitere Männer, der Genfer Daniel D. – angeblich der gefährlichste Schweizer Dschihadist – sowie der Lausanner Ajdin B. gelten als vermisst. Eine Flucht gilt derzeit als wahrscheinliches Szenario.

Wir wissen im Moment nicht gesichert, wo die Schweizer derzeit sind.
Autor: Johannes Matyassy Direktor der konsularischen Direktion im EDA

Von der Rundschau mit den Recherchen konfrontiert, sagt Johannes Matyassy, Direktor der konsularischen Direktion im EDA, man habe Hinweise aus verschiedensten Quellen, wo sich die Schweizer aufhalten könnten. Teilweise seien die Hinweise widersprüchlich. «Im Moment haben wir keine gesicherten Informationen, was ist.» Auf Nachfrage räumt Botschafter Matyassy ein, man wisse im Moment nicht gesichert, wo die Schweizer derzeit seien.

Matyassy versichert, die Schweizer Behörden hätten alle Massnahmen getroffen, um zu verhindern, dass Schweizer Dschihadisten unkontrolliert zurückreisen könnten. Details nannte er keine. Gestützt auf frühere Aussagen der Behörden scheint aber klar: Die Schweiz dürfte die IS-Unterstützer zur Fahndung im ganzen Schengenraum ausgeschrieben haben.

Dschihad-Reisende dürfen nicht zurück

Auf der Spurensuche in Nordsyrien gelang es der Rundschau zudem, mit Selma S. zu sprechen. Die schweizerisch-bosnische Doppelbürgerin aus Lausanne war zusammen mit ihrem Mann Ajdin B. ins Gebiet des IS gezogen und später von kurdischen Truppen gefasst worden. Seit 2018 lebt sie mit der inzwischen fast fünfjährigen Tochter in einem Internierungscamp.

Auf die Frage nach dem Verbleib ihres Mannes nach der Befreiungsaktion durch den IS in jenem Gefängnis, in dem auch ihr Mann zumindest bis kurz vor dem Angriff inhaftiert war, sagte sie: «Ich hörte, dass er nicht dort sei, also dachte ich erst nicht an ihn. Ich hörte von den Kämpfen und den geflogenen Männern. Ich dachte, vielleicht ist er nicht dort, aber ich habe auch gehört, dass er die Schnauze voll hat, sich wehrt und entkommen möchte. Ich weiss es nicht.»

Für Selma S. ist klar: Sie will Syrien nicht ohne ihren Mann verlassen. Ein Zurück in die Schweiz ist derzeit aber ausgeschlossen. Der Bundesrat lehnt es ab, dass Dschihad-Reisende aus der Schweiz aktiv zurückgeführt werden. Ausnahme: deren Kinder.

Kinder dürfen in die Schweiz zurück

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Gemäss Bundesratsbeschluss vom März 2019 werden erwachsene Dschihad-Reisende nicht aktiv aus Gefängnissen oder Camps im kurdisch kontrollierten Gebiet Nord- und Ostsyriens zurückgeführt. Dies primär aus Sicherheitsgründen und weil man eine Strafverfolgung vor Ort bevorzuge.

Die Ausnahme bilden Minderjährige. Nach einer Fall-zu-Fall-Prüfung kann die Schweiz Kinder aus Camps für IS-Angehörige repatriieren. Erstmals erfolgt ist dies im Dezember 2021. Damals wurden zwei Mädchen aus Genf in die Schweiz zurückgebracht , sie waren von ihrer Mutter zum IS entführt worden.

Der Mutter der zwei Kinder hatte die französisch-schweizerische Doppelbürgerschaft, wobei der Bund ihr die Schweizer Staatsbürgerschaft inzwischen rechtskräftig entzogen und eine Einreisesperre erlassen hat. Dies entspricht der Strategie des Bundesrats: Doppelbürgerinnen und Doppelbürger, die zum IS gereist waren, sollen ausgebürgert werden. Weitere entsprechende Verfahren laufen bereits oder werden geprüft, so offenbar auch im Fall des Lausanner Paars Selma S. und Ajdin B., die bosnisch-schweizerische Staatsbürger sind.

Ein Vertreter der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien sagt im Interview mit der «Rundschau», es liege in der Verantwortung der Herkunftsländer, ihre Landsleute zurückzuführen.

 EDA-Vertreter Matyassy verteidigt den Entscheid des Bundesrats. Es seien verschiedene Faktoren abgewogen worden, inklusive der Sicherheit der Schweiz. Auch jetzt, da Schweizer IS-Unterstützern mutmasslich die Flucht gelungen ist, bleibe der Entscheid richtig: Der Bundesrat habe alle möglichen Szenarien einbezogen. Dass so etwas wie eine Gefangenenbefreiung passieren könne, sei nicht überraschend.

«Rundschau»

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«Rundschau»
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Rundschau, 16.02.2022, 20:05 Uhr

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