Bern will Bellinzona keinen Extrakredit für die aktuelle Flüchtlingsarbeit geben. Diesen abschlägigen Entscheid kommentierte Mitte-Regierungspräsident Raffaele De Rosa gegenüber der Tessiner Presse mit den Worten: «Wir sind zutiefst enttäuscht.»
Bern sehe nicht, welche Anstrengungen das Tessin mit seiner Flüchtlingsarbeit unternehme und anerkenne dessen exponierte Lage an der Grenze nicht, kritisierte De Rosa. Bern mache geltend, die gesetzliche Basis für einen Extrakredit sei noch nicht gegeben.
Die Regierung will nun im Juni versuchen, beim Bundesrat doch noch zusätzliche Gelder zu erhalten, wie bei der Migrationskrise 2016. Die Tessiner Presse nahm die Enttäuschung der Politik in ihren Schlagzeilen auf: Bern hilft dem Tessin nicht – kein Extrageld von Bern.
SEM: Druck auf Südgrenze stabil
Beim Staatssekretariat für Migration (SEM) zeichnet Sprecher Samuel Wyss ein anderes Bild: «Wir sind uns der exponierten Lage des Tessins und auch anderer Grenzkantone sehr bewusst und unterstützen sie.» Doch sei der Druck an der Südgrenze zurzeit nicht besonders hoch. Die Zahl der Aufgriffe sei trotz der vielen Anlandungen in Italien stabil oder gar leicht rückläufig.»
Es gibt also faktisch gar keine Grundlage für die Forderung nach zusätzlichen Geldern, weil die Flüchtlingssituation an der Südgrenze in keiner Weise vergleichbar mit jener vor sieben Jahren ist. Auch wenn gewisse Politiker das glaubhaft machen wollen.
In St. Gallen übrigens, wo die Zahl der illegalen Flüchtlinge jüngst regelrecht explodierte, gab es keine solche Forderung nach einem Zusatzkredit. Dort bat man den Bund um finanzielle Mithilfe im Wissen, dass es schwierig wird, diese zu erhalten. Das Tessin will sich offensichtlich nicht damit abfinden und macht weiter Druck nach dem Schema: Kommt keine Hilfe, fühlt man sich von Bern unverstanden.
Politikwissenschaftler: Opferhaltung mit System
Für diese Opferhaltung gebe es auch historische Gründe, erklärt Politikwissenschaftler Nenad Stojanovic. So sei das Tessin bei einigen politischen Entscheiden vergessen gegangen, etwa beim Platz für die neuen Bundesgerichte. Zudem sei der Südkanton eine sprachliche Minderheitenregion.
Nicht zuletzt habe vor allem die politische Rechtsbewegung Lega die Ticinesi die Opferhaltung in den letzten 30 Jahren vorangetrieben, so Stojanovic. Dieses Jammern ist, wie das jüngste Beispiel zeigt, längst keine Lega-Methode mehr. Besonders jetzt, wo der Wahlkampf für den Herbst beginnt.