Dem Verein «Lies!» gehören Salafisten an, die westliche Demokratien ablehnen. Regelmässig verteilen sie Korane in Schweizer Innenstädten. Der Zürcher Sicherheitsdirektor Mario Fehr (SP) empfiehlt deshalb den Städten und Gemeinden im Kanton Zürich, diese Standaktionen in Zukunft nicht mehr zu bewilligen. Das gehe, sagt ein Rechtsgutachten, das er heute vorgestellt hat.
Fehr geht aber noch weiter: Der Bund müsse aktiv werden und «Lies!» verbieten. Er ist überzeugt: Diese Koran-Verteilaktionen seien nicht einfach religiöse Werbung, sondern sie gefährdeten die Sicherheit der Bevölkerung. Sie hätten vor allem ein Ziel: neue IS-Kämpfer zu rekrutieren. «Das Beste wäre, wenn der Bund diese Organisation gesamtschweizerisch verbieten würde», sagt Fehr. «Das kann er, gestützt auf das neue Nachrichtendienstgesetz, und das sollte er auch tun.»
Braucht es dazu das neue Nachrichtendienstgesetz?
Tatsächlich gibt es im neuen Nachrichtendienstgesetz, das am 1. September in Kraft tritt, eine Bestimmung, die es dem Bundesrat möglich macht, eine Organisation zu verbieten. Und zwar dann, wenn sie direkt oder indirekt für Terroranschläge oder andere gewalttätig-extremistische Aktionen wirbt.
Allerdings steht im Gesetz auch, dass es dafür zuerst einen Verbotsbeschluss der UNO oder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bräuchte – eine hohe Hürde. Der Bundesrat kann aber anstelle der Organisation selbst einfach alle ihre Aktionen verbieten. Das wäre rechtlich einfacher.
Bundesanwalt Lauber skeptisch gegenüber Verbot
Die Schweiz ist aber zurückhaltend mit solchen Verboten. Diese hat sich schon bei anderen Organisationen wie etwa der PKK gezeigt. Bundesanwalt Michael Lauber sagte letzten Herbst, als Deutschland die Koran-Verteilaktionen untersagte, übertriebene Verbote trieben extremistische Aktivitäten nur in den Untergrund und machten die Ermittlungen schwieriger.
Die Gefährlichkeit von «Lies!» schätzt man beim Bund etwas anders ein als Sicherheitsdirektor Fehr. In seinem neusten Sicherheitsbericht schreibt der Nachrichtendienst, es gebe keine gesicherten Erkenntnisse, wonach «die auch hierzulande festgestellten Standaktionen gewalttätige, extremistische oder terroristische Tätigkeiten fordern und damit die innere Sicherheit gefährden».
Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission zögert
Wie aber reagiert die Bundespolitik auf die Forderung aus Zürich nach einem nationalen Verbot? Nationalrätin Corina Eichenberger hat als Präsidentin der Sicherheitspolitischen Kommission intensiv am neuen Nachrichtendienstgesetz mitgearbeitet. Sie ist nicht sicher, ob die radikalen Koranverteiler wirklich in die Kategorie der Organisationen fallen, die man verbieten sollte. «Man müsste überprüfen, ob sie mit der Verteilung der Korane auch zu Gewalttaten aufruft.»
Wäre dies der Fall, müsste auf jeden Fall ein Verbot ausgesprochen werden, so Eichenberger weiter. Aber das sei eine Abwägungssache. Denn in der Schweiz mit ihrer liberalen Tradition und der direkten Demokratie sei man zu Recht zurückhaltend mit solchen Verboten. Sie geht aber davon aus, dass das Thema – nach den Forderungen Fehrs aus Zürich – im Parlament bald diskutiert wird.