Ein Viertel der Corona-Infizierten kämpft mit Langzeitfolgen: Diese Studie aus Zürich, über die SRF am Mittwoch berichtete, sorgte für viele Reaktionen. Studienleiter Milo Puhan beantwortet die wichtigsten Fragen aus der Community.
Ist diese Studie repräsentativ – kann man von 437 Probanden auf 300'000 mögliche Fälle schliessen?
Die Studie ist so repräsentativ, wie wir es erreichen konnten. Wir haben alle gemeldeten Corona-Fälle im Kanton Zürich, für welche die Kontaktangaben vorhanden waren, zur Befragung ausgewählt. Ob ein Resultat repräsentativ ist, ist nicht primär eine Frage der Anzahl Teilnehmer, sondern, wie man die Stichprobe auswählt – und dass dann möglichst viele auch mitmachen. Wenn es darum geht herauszufinden, wie viele Menschen betroffen sind, macht man immer eine Hochrechnung, weil man ja nicht alle untersuchen kann.
Abstract zur Studie
Wirkt sich eine grössere Stichprobe nicht auch auf die Prozentzahl aus?
Nein. Wenn man eine grössere Stichprobe zieht, wirkt sich dies primär auf die Präzision aus, mit der man etwas schätzt. In unserem Fall reicht dieses 95% Vertrauensintervall von 22 bis 30 Prozent, also +/- 4 Prozent um die 26 Prozent. Wählt man eine grössere Stichprobe, zum Beispiel 2000 Personen, würde das Intervall dann zwischen 24 und 28 Prozent Long-Covid-Fällen liegen.
Wann spricht man von Long Covid?
Es gibt bisher keine einheitlichen Kriterien. Zum einen gibt es die zeitliche Komponente. Eine Genfer Studie, die hospitalisierte Covid-Patienten untersuchte, sprach ab einer Dauer von sechs Wochen seit Krankheitsausbruch von Long Covid. Andere Studien nehmen eine Dauer von drei oder sechs Monaten als Referenzpunkt. Wir finden, man muss ein bisschen warten, weil Beschwerden nach viralen Erkrankungen noch eine Weile auftreten können. Daher sollten die Symptome aus unserer Sicht nach mindestens drei (Definition NHS der UK) oder sechs Monaten noch bestehen.
Zum andern kann man Long Covid anhand der Symptome definieren. Es ist aber gar nicht einfach, die Symptome zu erfassen, weil man nicht genau weiss, ob sie schon vor der Infektion da waren, weil sie schwanken, verschwinden und plötzlich wieder auftreten können. Deshalb haben wir die Teilnehmenden in unserer Studie gefragt, ob sie zu ihrem Gesundheitszustand vor der Infektion zurückgekehrt sind. Und das spüren die Menschen meistens ziemlich gut.
Symptome von Long Covid können sich mit anderen Krankheitsbildern überschneiden. Kann man die Ursachen differenzieren?
Man kann es, wenn die Symptome erst seit der Infektion auftreten. Natürlich gibt es bei gewissen Symptomen Überlappungen. Fatigue kommt aber nur selten vor, wenn man keine Krankheit wie Multiple Sklerose oder andere neurologische Erkrankungen hat. Depressive Symptome wiederum kommen natürlich auch ohne Corona-Infektion vor. Während der Pandemie haben auch Nicht-Infizierte depressive Symptome, weil es eine belastende Situation ist.
Wir sind jetzt daran herauszufinden, was durch eine Infektion dazukommt. 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz erkrankten vor der Pandemie an einer Depression. Schätzungen gehen während der Pandemie von einem etwas höheren Anteil – in der Gesamtbevölkerung, also auch bei nicht Erkrankten – aus, vielleicht 12 bis 16 Prozent. Und in unserer Studie sagten 30 Prozent der positiv auf Corona getesteten Personen, sie würden an depressiven Symptomen leiden. Dies beinhaltet allerdings auch milde Symptome. Weitere Untersuchungen werden zeigen, wieviele Personen durch eine Coronavirus-Infektion zusätzlich an solchen Symptomen leiden.