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Freizügigkeitsabkommen mit EU So will der Bundesrat künftig die Einwanderung einschränken

Mit Indikatoren und Schwellenwerten will der Bundesrat künftig prüfen, wann er die Schutzklausel aktivieren und den freien Personenverkehr einschränken muss.

Darum geht es: Der Bundesrat hat die Kriterien für die Aktivierung der Schutzklausel festgelegt. Die Schweiz und die EU einigten sich im Dezember auf eine neu konzipierte Schutzklausel im Freizügigkeitsabkommen. Sie gestattet es der Schweiz, den freien Personenverkehr temporär einzuschränken. «Wir können die Schutzklausel aktivieren, wenn die Zuwanderung aus der EU zu ernsthaften sozialen oder wirtschaftlichen Problemen in der Schweiz führt», sagt Bundesrat und Justizminister Beat Jans an der Medienkonferenz.

So prüft der Bundesrat den Einsatz der Schutzklausel: Der Bundesrat will Schwellenwerte für die Nettozuwanderung aus der EU, die Zahl der Grenzgängerinnen und Grenzgänger, die Zunahme der Arbeitslosigkeit oder die Sozialhilfequote festlegen. Wird einer dieser Werte landesweit überschritten, muss der Bundesrat prüfen, ob die Schutzklausel aktiviert werden soll. Die Landesregierung stützt sich bei der Prüfung der Schutzklausel auf die Indikatoren Zuwanderung, Arbeitsmarkt, soziale Sicherheit, Wohnungswesen und Verkehr. An ihnen soll abgelesen werden können, ob die Personenfreizügigkeit zu schwerwiegenden sozialen oder wirtschaftlichen Problemen führt oder nicht. Auch Kantone können beantragen, dass auf die Klausel zurückgegriffen wird, wenn auf ihrem Gebiet schwerwiegende Probleme auftreten. In solchen Fällen sind regionale Massnahmen möglich.

Beispiele für Schwellenwerte

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  • Bei einer EU-Nettozuwanderung im Verhältnis zur ständigen Wohnbevölkerung von +0.74 Prozent kommt es zu einer Prüfung der Auslösung der Schutzklausel.
  • Steigt die Grenzgängerrate um 0.34 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, kommt es zu einer Prüfung der Auslösung der Schutzklausel.
  • Nimmt die Arbeitslosigkeit in der ganzen Schweiz um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zu, kommt es zu einer Prüfung der Auslösung der Schutzklausel.
  • Steigt die Sozialhilfequote um 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr, kommt es zu einer Prüfung der Auslösung der Schutzklausel.

Das sind Beispiele für mögliche Schwellenwerte, erklärte Vincenzo Mascioli, der neue Staatssekretär für Migration. Die effektiven Werte würden nach der Vernehmlassung in der Verordnung festgehalten.

Das passiert bei der Anwendung der Schutzklausel: Wendet der Bundesrat die Schutzklausel an, muss er beim gemischten Ausschuss geeignete Schutzmassnahmen beantragen. Mögliche Massnahmen sollen ins Ausländergesetz geschrieben werden. Geregelt wird überdies, inwiefern die Schweiz den freien Personenverkehr vorübergehend einschränken darf. Vorgesehen sind etwa die Festlegung von Höchstzahlen bei der Zuwanderung oder ein Inländervorrang.

Das sagt SRF-EU-Korrespondent Charles Liebherr

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«Brüssel konnte der Schweiz bei der Schutzklausel deshalb entgegenkommen, weil es mit den neuen Verträgen künftig einen Streitschlichtungsmechanismus geben wird. Differenzen zwischen Brüssel und Bern werden also juristisch ausgetragen werden können – mit Konsequenzen bis hin zu möglichen Ausgleichsmassnahmen. Allerdings ist für die EU jede Einschränkung der Personenfreizügigkeit schwer zu verdauen – denn der freie Personenverkehr ist eine der vier Freiheiten der EU. Falls die Schweiz die Schutzklausel also anrufen wird, wird sie sehr gute Argumente vorbringen müssen.»

Aufenthaltsrecht kann eingeschränkt werden: Möglich wäre es laut Bundesrat auch, das Aufenthaltsrecht beim Verlust der Arbeitsstelle zu beschränken oder das Aufenthaltsrecht für die Suche nach einem Job einzuschränken. Solche Schutzmassnahmen können für das ganze Land oder für einzelne Kantone vorgeschlagen werden. Kommt der gemischte Ausschuss zu keinem Entscheid, kann der Bundesrat das Schiedsgericht anrufen. Wenn dieses anerkennt, dass schwerwiegende Probleme durch die Zuwanderung bestehen, kann der Bundesrat die vorgeschlagene Schutzmassnahme ergreifen.

Schutzklausel hätte seit 2002 achtmal gegriffen

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Ein Beispiel in der Retrospektive zeigt: Seit 2002 hätte die Schutzklausel achtmal gegriffen. Das sagte Vincenzo Mascioli, der neue Staatssekretär für Migration. Der Bundesrat hätte die Schutzklausel in den Jahren 2002, 2003, 2008, 2009, 2011, 2013, 2020 und 2022 prüfen müssen. In diesen Jahren hätte mindestens einer der vier Indikatoren die nationalen Schwellenwerte überschritten.

Ausgleichsmassnahmen sind möglich: Wird die Schutzklausel aktiviert und es kommt dadurch zu einem Ungleichgewicht, kann die EU Gegenmassnahmen ergreifen. Diese müssen verhältnismässig sein und dürfen nur die Personenfreizügigkeit betreffen. Zudem kann die Schweiz auch ohne Zustimmung des Schiedsgerichts Schutzmassnahmen treffen. In diesem Fall könnte aber Brüssel ein Schiedsgerichtsverfahren eröffnen und Ausgleichsmassnahmen ergreifen. Diese könnten neben dem Personenverkehr noch andere Binnenmarktabkommen betreffen – ausgenommen wäre die Landwirtschaft.

So geht es weiter: «Aktuell laufen die Bereinigung und Übersetzung der Texte», sagt Beat Jans. Sobald die Verhandlungen dann formell abgeschlossen seien, werde der Bundesrat die Vernehmlassung eröffnen. «Im Frühling 2026 will der Bundesrat der Bundesversammlung die Botschaft unterbreiten», so der Justizminister.

SRF 4 News, 14.5.2025, 16 Uhr ; 

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