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Gefährliche Schmerzmittel Opioid-Vergiftungen nehmen auch in der Schweiz zu

In den USA sterben jährlich Zehntausende an einer Überdosis der Schmerzmittel – auch bei uns sind sie auf dem Vormarsch.

Die Opioid-Krise hält die USA in Atem: Allein 2021 starben dort über 100'000 Menschen an einer Überdosis der Schmerzmittel – das ist ein Todesfall alle fünf Minuten. Damit sind Opioide die tödlichste Droge in den Vereinigten Staaten. Noch vor Kokain und Heroin.

Opioide sind Substanzen, die eigentlich verschrieben werden, um Schmerzen zu lindern. Es handelt sich also um ganz legale Schmerzmittel. Sie können aber auch süchtig machen – und im schlimmsten Fall tödlich sein.

(Noch) keine Opioid-Krise in der Schweiz

Nun konnten ETH-Forschende in einer Studie belegen, dass Vergiftungsfälle und Verschreibungen von Opioiden auch in der Schweiz stark zugenommen haben. Und auch wenn die Situation hierzulande nicht so dramatisch ist wie in den USA: Wachsamkeit ist angezeigt.

Die Studie der ETH Zürich

Stefan Weiler von der ETH Zürich ist Mitautor der Studie. Der klinische Pharmakologe und Toxikologe sagt: «Es gibt einen klaren Aufwärtstrend dieser verschreibungspflichtigen Medikamente, sowohl was die Vergiftungen als auch die Verkäufe angeht.»

Von einer Opioid-Krise oder Opioid-Epidemie wie in den USA oder auch Kanada könne man zwar nicht sprechen. «Es liegt aber ein Trend vor, den man beobachten muss.»

Opioid-Pillen
Legende: Eine Opioid-Überdosis kann sich darin äussern, dass man schläfrig wird und sogar in einen komatösen Zustand fällt. Der Atemantrieb kann gestört werden; typisch sind auch «Stecknadelpupillen» – bei den Betroffenen verkleinern sich also die Pupillen. Keystone

Dabei können die Medikamente durchaus sehr wirksam sein. So verschaffen sie etwa Tumorpatienten mit sehr starken Schmerzen Linderung. «Sie können jedoch zum Teil schwerwiegende bis sogar tödliche Folgen haben», sagt Weiler.

Verkaufszahlen verdoppelt – deutlich mehr Vergiftungen

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Für ihre Studie werteten die Forschenden aus, wie sich die Zahl der Notfallanrufe bezüglich Opioid-Vergiftungen bei Tox Info Suisse, der Schweizer Informationsstelle bei Vergiftungen, in den Jahren 2000 bis 2019 entwickelt hat. Weiter nutzten sie Daten von IQVIA über die Opioid-Verkaufszahlen von Apotheken und Ärztinnen, die die Mittel abgeben dürfen. Aus den Zahlen geht hervor, dass das Problem immer drängender wird.

Die Zahl der Anrufe bei Tox Info Suisse aufgrund von Vergiftungsfällen mit Opioiden hat in diesem Zeitraum um 177 Prozent zugenommen. Gingen im Jahr 2000 noch 1.4 Anrufe pro 100'000 Einwohnerinnen und Einwohner bei der Fachstelle ein, so waren es 20 Jahre später mehr als zweieinhalb Mal so viele. Auch die Verkaufszahlen haben sich fast verdoppelt (+92 Prozent), von 14'300 verkauften Einheiten pro 100'000 Einwohner auf 27'400. (ETH Zürich)

Auffallend: Vor allem die Verkäufe von stark wirksamen Opioiden haben zugenommen. Der ETH-Forscher stellt klar, dass diese Medikamente ihre Berechtigung haben, wenn Menschen unter starken Schmerzen leiden.

«Bei vielen Schmerzzuständen hat sich aber gezeigt, dass auch andere Medikamente, Medikationsgruppen und auch nicht-medikamentöse Therapien durchaus sinnvoll sind, um diese Patienten zu behandeln.»

Das Schmerzmittel Ocycontin
Legende: 2019 trat Tramadol am häufigsten in Erscheinung. Es ist ein schwaches Opioid, das bei mittelstarken und starken Schmerzen verschrieben wird. Am zweithäufigsten in Umlauf ist ein starkes Opioid, mit steigender Tendenz: Oxycodon. Vergiftungsfälle durch das Mittel haben sich von 2009 bis 2016 mehr als verdoppelt. Keystone

Wurden Opioide in der Schweiz also in den letzten Jahren leichtfertig verschieben? Mit Bezug auf die eigene Studie lasse sich dies nicht belegen, schliesst Weiler. Ältere Studien hätten aber Hinweise geliefert, dass Opioide teils «überverschrieben» werden.

Generell sei es wichtig, Patienten bei der Verschreibung von Opioiden über Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Zudem solle von Anfang ein Schema erstellt werden, wie die Medikamente reduziert und schliesslich abgesetzt werden. «Denn diese Substanzen bergen ein Abhängigkeitspotenzial und es kann sich eine Toleranz einstellen.»

SRF 4 News, 21.07.2022, 7:40 Uhr ; 

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