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Geflüchtete helfen einander Sie floh aus Syrien, jetzt berät sie traumatisierte Landsleute

Asylsuchende haben häufig psychische Probleme. Gespräche mit geschulten Laien sollen sie entlasten.

Amira Othman kam vor zwölf Jahren in die Schweiz. Der Start für die Frau aus Syrien war holprig. «In den ersten zwei Jahren ging es mir nicht gut.» Zu einem Psychologen wollte sie aber nicht. «Ich spreche zwar sehr gut Englisch, aber ich wollte in meiner Muttersprache über meine Gefühle reden.»

Diesen Wunsch erfüllt sie heute anderen Geflüchteten in ihrem Wohnkanton Zug. Sie hat sich zusammen mit 16 weiteren Interessierten zur psychosozialen Beraterin weiterbilden lassen. Die Ausbildung ist Teil des Projekts «ComPaxion» und soll einfache Hilfe bei psychischen Problemen bieten (siehe Box).

Ich wollte in meiner Muttersprache über meine Gefühle reden.
Autor: Amira Othman Geflüchtete aus Syrien

Auch mit dem dreimonatigen Kurs ist Amira Othman keine Psychologin. Sie hat in Damaskus Englisch studiert und stellt als Beraterin weder Diagnosen noch verschreibt sie Medikamente.

«ComPaxion»

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In Schweizer Asylzentren fehlt es an unkomplizierten Angeboten bei psychischen Problemen. «ComPaxion» ist ein Projekt, das diese Lücke füllen will.

Die Beraterinnen und Berater haben eine eigene Flucht- oder Migrationsgeschichte. So können sie die Situation der Betroffenen gut verstehen und schnell Vertrauen aufbauen. Die Beratenden werden ihrerseits von erfahrenen Trauma-Therapeutinnen und -Therapeuten begleitet.

Das Pilotprojekt in den Kantonen Zug und Aargau kostet zwischen 700'000 und einer Million Franken pro Jahr. Die Kosten tragen Bund, Kantone und Stiftungen. Ist das Projekt erfolgreich, soll es auf weitere Regionen ausgeweitet werden.

Quelle: Paxion

Helfen könne sie trotzdem. «Wir fragen: ‹Wie geht es dir?›. Nur schon diese Frage hilft sehr.» Und: Amira Othman spricht Arabisch, Türkisch und Kurdisch. Der Austausch kann deshalb in der Muttersprache der Asylsuchenden stattfinden.

Eine fremde Kultur, eine neue Sprache, das macht hilflos.
Autor: Amira Othman Geflüchtete aus Syrien

In ihren Gesprächen geht es darum, den Flüchtlingen zu zeigen, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht alleine sind. «Wir erklären ihnen, dass die Gefühle eine normale Reaktion auf ihre Erlebnisse sind. Und auch die Probleme hier: Eine fremde Kultur, eine neue Sprache, das macht hilflos.»

Trauma aus der Heimat

Die meisten Personen, mit denen Amira Othman spricht, haben bereits in der Heimat was Traumatisches erlebt. Sie wurden gefoltert oder bedroht. Belastend seien auch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Schweiz. «Bei der Ankunft im Asylzentrum zerbrechen viele Träume auf ein baldiges, schöneres Leben.»

Reichen die Gespräche mit Amira Othman nicht aus, kann die Beraterin die Asylsuchenden an Fachpersonen weiterleiten.

Flüchtlinge erhalten Hilfe zur Selbsthilfe

Viele Menschen wollten oder brauchten aber keine medizinische oder psychologische Hilfe, sagt Esther Oester. Sie hat das Beratungsangebot «ComPaxion» ausgearbeitet. Viele der Betroffenen würden sich nicht krank fühlen. «Unser Ansatz geht davon aus, dass viele Geflüchtete zwar schwierige Lebensumstände haben, gleichzeitig aber auch viele Ressourcen.»

Das Projekt soll nicht nur denjenigen helfen, welche die Beratung in Anspruch nehmen. Auch Beraterinnen wie Amira Othman sollen profitieren. Sie erhalten einen Praktikumslohn und einen Einstieg in die Schweizer Berufswelt.

«Den Leuten die Hilfe zu geben, die ich damals auch gebraucht hätte, das ist wunderschön», erzählt die Beraterin. Amira Othman berichtet von einem ihrer Erfolgserlebnisse. «Erst kürzlich begann eine Frau zu weinen, als sie endlich verstand, woher ihre Ängste kommen.»

Regionaljournal Zentralschweiz, 22.2.2024, 17:30 Uhr ; 

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