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Gefragte Waffenerwerbsscheine Experte ortet steigende Waffennachfrage in Verschwörungskreisen

Zurzeit ist in der Schweiz ein Run auf Waffen zu beobachten: Im Vergleich zum Vorjahr hat etwa im Aargau die Zahl der Gesuche um Waffenerwerbsscheine von Januar bis März um einen Viertel zugenommen – im Kanton St. Gallen sogar um 60 Prozent. Hat der Ukraine-Krieg das Sicherheitsbedürfnis verändert? Möglich, sagt Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW. Aber: Diese Erklärung allein greife zu kurz.

Dirk Baier

Professor ZHAW

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Dirk Baier ist Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Jugendkriminalität, Gewaltkriminalität und Extremismus.

SRF News: Die Nachfrage nach Waffenerwerbsscheinen steigt. Weshalb?

Dirk Baier: Es wird gern und schnell auf den Aspekt der steigenden Unsicherheit hingewiesen, der dazu führt, dass sich Menschen jetzt Schusswaffen zulegen. Aber: Unsichere Menschen haben Angst vor Schusswaffen, die gehen jetzt nicht einfach los und kaufen sich eine Pistole. Eine Zunahme bei den Waffenerwerbsscheinen sehen wir seit mehreren Jahren. Und die Ursache dafür müssen wir meiner Meinung nach in zwei Bereichen suchen.

Das bringt ein Waffenerwerbsschein

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Zu den bewilligungspflichtigen Waffen gehören beispielsweise Pistolen, Revolver oder Selbstladeflinten. Ein Waffenerwerbsschein erlaubt dem Gesuchsteller, innerhalb von sechs Monaten bis zu drei solcher Waffen zu kaufen. Die Gesuche werden zu über 90 Prozent bewilligt.

Ein Waffenerwerbsschein ermächtigt einen Waffenbesitzer allerdings nicht, beispielsweise eine Pistole in der Öffentlichkeit auf sich zu tragen. Dafür nötig ist eine sogenannte Waffentragbewilligung. Ein Gesuch wird laut dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) nur dann bewilligt, wenn ein Nachweis vorliegt, dass eine Waffe getragen werden muss – etwa als Sicherheitsbeauftragter einer Firma, um sich selbst, andere Personen oder Sachen vor einer tatsächlich drohenden Gefahr zu schützen.

Keine Bewilligung ist gemäss Fedpol nötig, um beispielsweise als Jäger auf dem Weg zum Revier oder als Sportschütze unterwegs zum Schiessstand die Waffe zu transportieren.

Einerseits ist da die verschwörungstheoretische Szene, die sich Waffen beschafft. Und andererseits sehen wir seit Jahren, wie sich junge Männer beispielsweise mit Messern aufrüsten, um ihre Männlichkeit, ihre Wehrhaftigkeit zu zeigen. Möglicherweise steigen die jetzt mehr auf Schusswaffen um. Daher: Militärische Konflikte können eine Rolle spielen. Für eine historische Einordnung fehlt uns aber das nötige Zahlenmaterial. Und: Sicher führt nie nur ein Auslöser dazu, dass sich Menschen plötzlich in Waffen flüchten. Dafür braucht es gesellschaftliche Veränderung.

Welche Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Pandemie zu?

Wir wissen, dass die Szene der Verschwörungstheoretiker zumindest in den letzten zwei Jahren ein Stück weit radikaler geworden ist. Sie haben den Staat als Feind definiert, einige Gruppierungen bereiten sich auf Auseinandersetzungen vor und dazu braucht man Waffen.

In Deutschland werden in verschwörungstheoretischen Kreisen Attentate geplant. Man sollte dies nicht ignorieren.

In Deutschland sind solche Beispiele für die Aufrüstung vorhanden, da werden teils auch Attentate geplant. Man sollte dies nicht ignorieren. Da passiert was, auch hier in der Schweiz.

Was machen die Käufer mit diesen Waffen?

Menschen, die sich jetzt mit einer Waffe ausstatten, werden damit zunächst trainieren. Viele werden das Interesse aber auch schnell wieder verlieren und dann liegt die Waffe eher in der Wohnung rum – hoffentlich gut verstaut und getrennt von der Munition.

Was bedeutet es denn nun für die Gesellschaft, wenn sich immer mehr Menschen bewaffnen?

Grundsätzlich mache ich mir nicht besonders grosse Sorgen. Die Schweiz hat eine Waffentradition. Aus Befragungen wissen wir: In etwa jedem vierten Haushalt gibt es Schusswaffen. In Deutschland beträgt der Anteil nur zwei bis drei Prozent.

Ich würde mir wünschen, dass wir mehr wüssten über die Gruppe, die jetzt aufrüstet.

Schweizer wissen Schusswaffen verantwortungsvoll zu nutzen – in der Vergangenheit gab es nur wenige Attentate oder Amokläufe. Und die jetzige Zunahme der Gesuche dürfte daran erst mal nichts ändern. Aber ich würde mir schon wünschen, dass wir mehr wüssten über die Gruppe, die jetzt aufrüstet. Wenn das junge Männer sind, mit wenig Selbstkontrolle, oder welche Verschwörungstheoretiker sind, dann muss man sich schon Sorgen machen.

Es besteht also Handlungsbedarf bei der Datenlage.

Genau. Es gibt bislang wenig wissenschaftliche Erkenntnisse, was hinter der steigenden Bewaffnung steckt. Wir müssen versuchen, an Informationen zu kommen, um einschätzen zu können, ob da ein grösseres Problem aufzieht.                

Das Gespräch führte Evelyne Fischer.

Für diese Waffen besteht eine Meldepflicht

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Kein Waffenerwerbsschein ist laut dem Bundesamt für Polizei (Fedpol) beispielsweise für Soft-Air-Waffen, Schreckschusspistolen oder Jagdgewehre nötig. Für deren Erwerb braucht es allerdings einen schriftlichen Vertrag. Handelt es sich um eine Feuerwaffe, muss die übertragende Person innert 30 Tagen eine Kopie des Vertrags an das kantonale Waffenbüro des Erwerbers senden.

Tagesschau, 21.04.2022, 12:45 Uhr ; 

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