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Geiselnahme bei Yverdon Stresssituation Geiselnahme: So bereiten sich Einsatzkräfte vor

In einem Regionalzug hat ein bewaffneter Mann 13 Geiseln festgehalten. Wie trainieren Einsatzkräfte solche Situationen und wie geht es Polizisten nach einer Geiselnahme? Experten ordnen ein.

Geiselnahmen passieren in der Regel dort, wo sich viele Menschen aufhalten – in Banken, Zügen, Bussen oder Flugzeugen. So passiert in Yverdon. Ein finaler Todesschuss beendete das Geiseldrama am späten Donnerstagabend.

Einsatz von Schusswaffen als letztes Mittel

Auf solche Situationen werden Spezialeinheiten trainiert. Sie entscheiden situativ variabel – auch in Bezug auf die Schussabgabe. «Wenn einer wie in Yverdon im Zug mit einer Axt auf die Polizisten zurennt, ist das Notwehr», erklärt Christian Weidkuhn. Er ist seit 1995 Polizeipsychologe und war 20 Jahre bei der Kantonspolizei Graubünden tätig. Eine Waffe könne für Eigenschutz und für Fremdschutz eingesetzt werden.

Wann darf ein Polizist schiessen?

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Spezialeinheiten
Legende: Polizisten einer Spezialeinheit bei einer Schiesserei in der Nähe des Zürcher Hauptbahnhofs im Dezember 2016. KEYSTONE/Ennio Leanza

Der Schusswaffengebrauch ist in den Polizeigesetzen der jeweiligen Kantone geregelt. Der Inhalt ist aber meist ähnlich.

Polizistinnen und Polizisten können von der Schusswaffe Gebrauch machen,

  • wenn sie selbst oder andere bedroht oder angegriffen werden (Notwehr/Notwehrhilfe)
  • wenn ein Verbrecher fliehen will
  • zur Befreiung von Geiseln
  • zur Verhinderung eines Verbrechens an Einrichtungen, die der Allgemeinheit dienen.

Bei Geiselnahmen handelt es sich um eine Form des Schusswaffengebrauches im Rahmen der Notwehrhilfe.

Ein Blick in die Statistik zeigt: 2021 und 2022 griffen Polizisten sechsmal zur Dienstwaffe. Das ist eine deutliche Abnahme, wie eine langjährige Auswertung der Konferenz der Kantonalen Polizeikommandanten (KKPKS) zeigt. Auch Taser-Einsätze sind in den letzten beiden Jahren der Auswertung zurückgegangen. Im Fall Yverdon setzten die Polizisten vor der tödlichen Schussabgabe ebenfalls einen Taser ein.

Einschätzungen zu den beiden Entwicklungen können der KKPKS zufolge nicht gemacht werden. Doch: «Die Polizistinnen und Polizisten in der Schweiz werden in dieser Thematik sehr gut ausgebildet und agieren grundsätzlich immer nach dem 3-D-Prinzip (Dialog, Deeskalation, Durchgreifen)», schreibt die KKPKS auf Anfrage. Dabei sei der Einsatz von Destabilisierungsgeräten und Schusswaffen bezüglich der Verhältnismässigkeit die «ultima ratio».

Das bestätigt Christian Ambühl, Polizeichef des Zweckverbandes RONN. Er war sechs Jahre bei der Sondereinheit der Stadt Bern tätig. Es sei bei weitem nicht so, dass Polizisten die finale Schussabgabe einfach ausführen würden. «Auch für den Polizisten ist das purer Stress», so Ambühl. Denn auf eine Schussabgabe folge ein Verfahren, in dem abgeklärt werde, ob die Schussabgabe gerecht war. Hinzu könne der Faktor kommen, wenn das Gegenüber sterbe. «Das muss der Mitarbeiter zuerst verarbeiten», betont Ambühl.

Psychologische Vorbereitung für Einsatzkräfte

Deshalb würden nach einer Schussabgabe betroffene Polizistinnen und Polizisten psychologisch betreut, um Traumata zu verhindern, sagt Polizeipsychologe Weidkuhn. «Die Verarbeitung und Resilienz ist von Person zu Person unterschiedlich.» Die einen bräuchten nachträglich mehr Betreuung, andere praktisch keine.

In den Polizeischulen habe das Fach Polizeipsychologie deutlich an Gewicht gewonnen, erklärt Weidkuhn. Es werde situationsbezogen unterrichtet, beispielsweise in Bezug auf häusliche Gewalt. In Amriswil gebe es eine Polizeischule, wo eine Wohnung hergerichtet wurde, mit Kameras und Schauspielenden. «Die Polizeineulinge werden dort reingeschickt und finden zum Beispiel eine Schlägerei zwischen Mann und Frau vor, die sie lösen müssen», so Weidkuhn.

Auch Geiselnahmen in einem Zug werden trainiert, wie Ambühl erklärt. So stelle die SBB jeweils Züge zur Verfügung, in denen auf einem Abstellgleis trainiert werden könne. «Dann beginnt das Training: wie komme ich an den Zug, wie viel Platz habe ich im Zug?» Das trainiere man ein bis zwei Tage, bis alles funktioniere, so Ambühl.

Beide Experten sind sich einig: Situationen wie Geiselnahmen müssen regelmässig trainiert werden, damit Mitarbeitende für einen tatsächlichen Fall vorbereitet sind und richtig reagieren können.

Tagesschau, 09.02.2024, 12:45 Uhr

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