Vor 20 Jahren stand die Werner Siemens Stiftung (WSS) vor einem Problem: Sie hatte zu viel Geld. Die Kasse war so gut gefüllt, dass für den eigentlichen Stiftungszweck mehr als genug vorhanden war. Also entschied sich die Stiftung mit Sitz in Zug, das Geld auch anderswo zu verteilen. Seither hat sie über 20 Forschungsgruppen mit Millionen von Franken unterstützt. Unter anderem erhielt die ETH Zürich zehn Millionen zur Schaffung einer Professur für Tiefengeothermie.
Geld für Plastik-Recycling
Der vorläufige Höhepunkt kam letzte Woche. Die WSS feierte ihr 100-Jahr-Jubiläum und hatte sich dazu vorgenommen, ein einziges Projekt besonders grosszügig zu fördern – mit 100 Millionen Franken. Über hundert Forschungsgruppen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hatten sich für diesen Geldsegen beworben und Ideenskizzen eingereicht.
Aus all den Ideen hat die Stiftung zuerst sechs Finalisten ausgewählt, die je eine Million Franken erhielten. Als Trostpreis sozusagen. Aus den sechs Finalisten wurde dann ein Forschungsprojekt der technischen Hochschule im deutschen Aachen für den Hauptpreis ausgewählt. Chemikerin Regina Palkovits und Chemiker Jürgen Klankermayer forschen dabei daran, wie der immense Plastikmüll, der weltweit anfällt, wiederverwendet werden könnte. «Kunststoffe sind so weit verbreitet, weil sie sehr beständig sind. Bisher stand jedoch nie die Frage im Vordergrund, wie sie recycelt werden können», sagt Palkovits.
Möglicher Jahrhundertwurf
In Aachen versuchen sie unter anderem, den Plastik so zu zerlegen, dass er als Rohstoff wiederverwendet werden kann. Die Forscherinnen und Forscher setzen dafür auf eine Kombination aus chemischen, elektrochemischen und mikrobiellen Verfahren. Ein ambitioniertes Vorhaben, an dem schon viele gescheitert sind.
Die 100 Millionen Franken werden über eine Dauer von 10 Jahren ausbezahlt. «Es ist sehr selten, dass man über einen so langen Zeitraum eine verlässliche Förderung hat», sagt Chemikerin Regina Palkovits. Ist die Aachner Forschungsgruppe erfolgreich mit ihrem Vorhaben, wäre das ein Jahrhundertwurf. Doch der Erfolg ist alles andere als garantiert. Dass die WSS so viel Geld auszahlt, gebe ihnen viel Spielraum, sagt Palkovits. «Das ermöglicht es, weltverändernde Ideen von der Skizze bis zur Technologie zu bringen.»
Viel Geld angehäuft
Die Werner Siemens Stiftung kann solch potenziell weltverändernde Ideen nur unterstützen, weil sie vor 20 Jahren ihren Stiftungszweck geändert hat. Gegründet wurde die WSS im November 1923 in Schaffhausen von den Schwestern Charlotte Buxhoeveden und Marie von Graevenitz. Sie waren Töchter des Industriellen Carl von Siemens, der mit seinem Bruder Werner den späteren Siemens-Konzern aufgebaut hatte.
Die Schwestern gründeten eine Stiftung, die späteren Nachkommen der Siemens-Familie helfen sollte, falls diese in wirtschaftliche oder finanzielle Not geraten sollten. Die kommenden Jahrzehnte zahlten auch weitere Familienmitglieder in die Stiftung ein. Das Geld wurde erfolgreich investiert und angelegt, sodass die Kassen bei Anbruch des 21. Jahrhunderts prall gefüllt waren.
Seit 2003 ist die Stiftung deshalb auch gemeinnützig tätig und unterstützt technische und naturwissenschaftliche Projekte. Finanziert wird dies nicht durch das Stiftungsvermögen, sondern einzig durch die Rendite.