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Gemeinden zurückgepfiffen PK-Geld statt Sozialhilfe? Gericht stoppt umstrittene Praxis

Das Bundesgericht interveniert: Gemeinden dürfen Sozialhilfebeziehende in den meisten Fällen nicht mehr zwingen, sich im Alter von 60 Jahren Freizügigkeitsguthaben auszahlen zu lassen.

Am Anfang des Urteils steht ein Sozialhilfeempfänger aus dem Kanton Basel-Landschaft. Seine Wohngemeinde hatte von ihm verlangt, dass er mit 60 Jahren – also zum frühestmöglichen Zeitpunkt – die Freizügigkeitsguthaben aus seiner Pensionskasse bezieht.

Das Problem: Diese Guthaben wären bei einem ganz normalen Lebenswandel bereits vollständig aufgebraucht, bevor der Betroffene mit 63 Jahren regulär die AHV beziehen könnte.

Das wäre unverhältnismässig, urteilt jetzt das Bundesgericht – und gibt dem betroffenen Sozialhilfeempfänger recht. Es ist nicht nur ein Erfolg für diesen Mann, sondern es ist ein Leiturteil, das eine schweizweite Bedeutung hat.

Ab sofort gilt: Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger dürfen nicht gezwungen werden, sich die Freizügigkeitsguthaben auszahlen zu lassen, wenn diese beim Erreichen der Altersgrenze von 63 Jahren bereits aufgebraucht wären.

Skos sieht Position bestätigt

Markus Kaufmann, Geschäftsführer der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos), ist froh, dass es jetzt verbindliche Vorgaben gibt.

Er sieht die Position der Skos bestätigt: «Unsere Richtlinien empfehlen seit Jahren, dass Vermögen der zweiten und der dritten Säule grundsätzlich erst mit dem AHV-Vorbezug herausgelöst werden sollen. Mit diesem Urteil haben wir jetzt mehr Klarheit.»

Die Frage, ob Gemeinden von Sozialhilfeempfängern verlangen dürfen, frühzeitig ihre Guthaben aus der Pensionskasse zu beziehen, ist schon lange umstritten. Im Kanton Aargau zum Beispiel dürfen das die Gemeinden seit rund zwei Jahren nicht mehr verlangen.

Die Aargauer Kantonsregierung hatte diese Praxis nämlich in einer Verordnung untersagt. Andernorts war es aber nicht so klar geregelt und in verschiedenen Schweizer Gemeinden wurde das weiter von den Sozialhilfeempfängern verlangt.

Dieses Geld wurde im Rahmen der Arbeit einbezahlt. Es sollte also der Altersrente zugutekommen und nicht für die Sozialhilfe aufgebraucht werden müssen.
Autor: Andreas Lustenberger Geschäftsleitungsmitglied von Caritas Schweiz

Andreas Lustenberger, Geschäftsleitungsmitglied von Caritas Schweiz, ist deshalb froh um das neue Bundesgerichtsurteil. Damit sei von nun an gewährleistet, «dass für alle Sozialdienste, die Kantone und die gemeindlichen Sozialdienste klar ist, wie sie dies handhaben müssen. Gerade im Bereich der Sozialhilfe gibt es regionale Unterschiede, die zu Ungleichbehandlungen führen können.» Deswegen sei eine gewisse Harmonisierung zu begrüssen.

Spielregeln für alle klar

Ausserdem gehe es um eine Frage der Fairness, betont der Caritas-Verantwortliche. Er finde es falsch, den Bezug von Pensionskassengeldern und die Frage der Sozialhilfe miteinander zu vermischen: «Beim Freizügigkeitskonto geht es um die berufliche Vorsorge. Dieses Geld wurde im Rahmen der Arbeit einbezahlt – vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer.» Dementsprechend solle es auch der Altersrente zugutekommen und nicht für die Sozialhilfe aufgebraucht werden müssen.

Die Möglichkeit, Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger zum Bezug von Pensionskassengeldern zu zwingen, wird also stark eingeschränkt. Nicht alle Gemeindeverantwortlichen wird das freuen – mit dieser Praxis haben sie ja versucht, die Kosten bei den Sozialhilfeauszahlungen zu reduzieren. Aber wenigstens sind jetzt für alle die Spielregeln klar.

Info 3, 05.03.2024, 12 Uhr

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