Serbische Truppen hatten über 8000 bosnische Muslime getötet. Damals, im Juli 1995, auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs im zerfallenen Jugoslawien. Die Opfer waren vor allem Männer und Buben im Teenager-Alter.
Für Beobachter war es das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Kriegsverbrecher-Tribunal der UNO bezeichnet das Massaker als Genozid, also als Völkermord.
Lokalpolitiker spricht von «propagandistischer Lüge»
Ganz anders sieht das der Tessiner Lokalpolitiker Donatello Poggi. In einer Zeitungskolumne und einem Internet-Text bezeichnete er solche Berichte und Einschätzungen zu Srebrenica als Zitat «propagandistische Lüge». Er machte ein Fragezeichen hinter die offizielle Zahl der muslimischen Opfer und behauptete sogar, dass es in Srebrenica vor allem zu Massakern an Serben gekommen sei.
Die kantonalen Gerichte im Tessin verurteilten den Mann deshalb wegen Verstosses gegen das Anti-Rassismus-Gesetz. Denn dieses stellt auch die Leugnung von Völkermord und anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter Strafe.
Bundesgericht annulliert Urteil
Das Bundesgericht kommt jetzt jedoch zu einem anderen Schluss und spricht den Tessiner Lokalpolitiker frei. Zwar habe Poggi den Genozid geleugnet, halten die Richter fest. Aber: Er habe nicht zu Hass, Gewalt oder Diskriminierung von bosnischen Muslimen aufgerufen.
Scharfe Kritik übe der Mann vielmehr an der Nato, an der CIA und am Kriegsverbrecher-Tribunal. Das Bundesgericht räumt ein, dass der Text des Mannes für die muslimischen Opfer von Srebrenica und ihre Angehörigen respektlos und beleidigend sei.
Aber mit dem Strafrecht dagegen einzuschreiten gehe zu weit. Die Meinungsäusserungsfreiheit habe Vorrang, was aber keinesfalls bedeute, dass man die Aussagen des Mannes gutheisse.
Die Lehre aus dem Fall Perincek
Mit diesem Urteil zieht das Bundesgericht auch Konsequenzen aus dem Fall Perincek. Der türkische Nationalist Dogu Perincek hatte in der Schweiz geleugnet, dass im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich ein Völkermord an den Armeniern verübt wurde.
In der Schweiz wurde Perincek deshalb wegen Rassismus verurteilt, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hatte er danach aber Recht erhalten. Die Strassburger Richter korrigierten nämlich die früheren Schweizer urteile und kamen zum Schluss, dass die Meinungsfreiheit stärker zu gewichten sei.