Europas oberstes Gericht für Menschenrechte hatte den Fall eines in der Schweiz geborenen und hier aufgewachsenen Spaniers zu beurteilen. Sein Name wird in den Gerichtsakten mit M.M. abgekürzt. Gegen ihn wurde 2018 wegen zweier schwerer Sexualdelikte an einem Kind ein fünfjähriger Landesverweis verhängt.
Der Vierzigjährige beging ausserdem Drogenvergehen. Das Bundesgericht lehnte einen Rekurs gegen das Ausschaffungsurteil ab, woraufhin der Mann vor dem Strassburger Gerichtshof für Menschenrechte wegen Beeinträchtigung seines Privat- und Familienlebens klagte.
Das Gesetz ist menschenrechtskonform
Der Menschenrechtsgerichtshof urteilte nun zugunsten der Schweiz. Er erachtet den fünfjährigen Landesverweis als rechtens. Das Urteil ist für die Schweiz von grundsätzlicher Bedeutung: Es stützt die seit 2016 geltende Gesetzgebung, die für schwere Delikte – und dazu zählen explizit Sexualverbrechen – eine Ausschaffung vorsieht.
Bereits 2019 befassten sich die Richter in Strassburg mit der Umsetzung der vom Volk gutgeheissenen Ausschaffungsinitiative. Damals ging es um einen Kosovaren. Der Gerichtshof warf der Schweizer Justiz vor, den Einzelfall zu wenig geprüft zu haben und entschied deshalb gegen die Ausschaffung – letztlich wegen Verfahrensmängeln.
Einzelfall wurde ausreichend geprüft
Mit dem Fall des Spaniers M.M. liegt nun erstmals ein Urteil in der Substanz vor. In diesem Fall hätten, so Strassburg, die Schweizer Behörden den Einzelfall hinreichend abgeklärt. Auch erachtet der Menschenrechtsgerichtshof Sexualdelikte als schwerwiegend genug, um eine Ausschaffung zu rechtfertigen.
Eine Rolle spielt dabei auch, dass der Ausgewiesene in der Schweiz nicht über enge familiäre Beziehungen verfügt und generell schlecht integriert gewesen sei. Positiv würdigen die Richter zudem, dass die Schweiz solche Ausweisungen nicht einfach automatisch verfügt, sondern Einzelfälle gründlich prüft und dass eine Härtefallklausel existiert. Auf diese könne sich aber M.M. nicht berufen, so das Gericht.
Ausschaffungen sind durchaus möglich
Den Unterstützern der Ausschaffungsinitiative dürfte das heutige Urteil etwas Wind aus den Segeln nehmen: Sie hätten sich zwar eine wörtliche und damit scharfe Umsetzung ihrer Initiative gewünscht, erkennen nun aber, dass die letztlich gewählte mildere Variante immerhin durchsetzbar ist und nicht bei den Strassburger Richtern aufläuft.
Die Vertreter der heute geltenden Gesetzgebung hingegen werden sich bestärkt darin sehen, für eine praktikable Umsetzung plädiert zu haben.
Ausschaffung bei Sexualverbrechen
Urteile des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs sind immer Einzelfallurteile. Doch in diesem Fall lässt sich aus dem Verdikt ableiten, dass die neue Schweizer Ausschaffungspraxis mit der Europäischen Menschenrechtskonvention verträglich ist.
Diese setzt zwar hohe Hürden bei Ausschaffungen, verhindert sie aber nicht rundweg. Gravierende Verbrechen, darunter schwere Sexualdelikte, können also einen Landesverweis rechtfertigen.