Die Würfel sind gefallen: Ferdinand «Bongbong» Marcos – Sohn von Ex-Diktator Ferdinand Marcos – gewinnt die Präsidentschaftswahl in den Philippinen. Er verdrehte die Geschichte und verkaufte seinen Wählern die Jahre der Diktatur seines Vaters als Zeit des Wohlstands. Mit Erfolg…
«Das hat damit zu tun, dass das Durchschnittsalter bei etwa 26 Jahren liegt und darum die Mehrheit der Filipinos nach der Marcos-Diktatur geboren sind», erklärt SRF Südostasien-Korrespondent Lukas Messmer.
Die Jahre der Diktatur seien in dem Land nie wirklich aufgearbeitet worden, auch nicht in den Schulen, sagt Messmer. Günstige Bedingungen also, um die Vergangenheit so zu verdrehen, dass es den eigenen Zielen nützt. Dafür habe der Marcos-Clan auch die sozialen Medien genutzt.
Vor ungefähr fünf Jahren hat das Marcos-Lager begonnen, auf diesen sozialen Plattformen Videos zu publizieren: Darin behaupteten die Mitglieder, dass die Jahre der Diktatur eigentlich Jahre des Wohlstands gewesen seien, gar eine «goldene Zeit» waren, erklärt Messmer.
Marcos Junior hat es geschafft, mit einer riesigen Kampagne von Desinformation, die Geschichte seiner Familie im Internet neu zu schreiben.
Solche Videos werden von den Plattformen selten geprüft – aber millionenfach geschaut. So habe es Marcos Junior tatsächlich geschafft, mit einer riesigen Kampagne von Desinformation, die Geschichte seiner Familie im Internet neu zu schreiben, erklärt Messmer.
Lügen einstecken – dafür Hoffnungen wecken
Doch was steckt hinter diesem «Neuauftischen» von Geschichte? Béatrice Ziegler hat während mehrerer Jahre am Zentrum für Demokratie in Aarau die politische Bildung und Geschichtsdidaktik geleitet: «Es erstaunt mich immer wieder, wie kurz das Gedächtnis von Leuten ist.»
Gleichzeitig aber «erfahren» alle anders. Das heisst, es gibt verschiedene Perspektiven auf historische Ereignisse, weil die Realitäten der Menschen, die dabei waren, häufig unterschiedlich waren. Im Verlaufe der Zeit werden so Ereignisse anders gedeutet und wahrgenommen. Der dazugehörige Fachbegriff lautet: Geschichtsrevisionismus.
Eine neue Perspektive einbeziehen: Auch dies kann zu Geschichtsrevisionen führen. Ein Beispiel dafür ist der Postkolonialismus. «Früher hat man die Geschichte der Herrscher geschrieben – man hat mit den Augen der Imperien auf die Länder des Südens geblickt. Heute betrachtet man diese verstärkt auch aus Perspektive der ehemaligen Kolonien selbst.» Dies führe zu völlig neuen Sichtweisen, auch weil sich Normen massiv verändern – was auch positiv sei, so Ziegler.
Problematisch sei es, wenn die Geschichte, die jemand erzählt, überhaupt nicht belegbar und aus der Luft gegriffen ist, erklärt Ziegler. Willentlich nur das erzählen, was einem passt, sei darauf zurückzuführen, dass Akteure politische Ziele oder wirtschaftliche Interessen verfolgen, so die Historikerin.
Wenn die Geschichte unausgewogen erzählt wird und gewisse Aspekte der Vergangenheit übertönt oder gar auslässt, wird es problematisch.
Wie die Gesellschaft solchen Geschichten Glauben schenkt, ist die andere Frage. Eine grosse Rolle spielt hierbei die Geschichtsvergessenheit. Junge Generationen, finden oft keine Zeit, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen – was zu einem Nichtwissen führt. Verdrehte Geschichten können aber auch Hoffnungen wecken.
Hoffnungen wecken – dies tat auch Marcos Junior. Doch woher weiss man nun, was wahr ist? Klar ist, eine absolute Wahrheit gibt es nicht. Aber es gibt methodische Verpflichtungen der Geschichtswissenschaft. Ziegler betont: Eine historische Erzählung solle alle möglichen und bewährten Informationen einbeziehen und offenlegen – und nicht etwa die Geschichte zurechtschustern, um die eigene Macht zu sichern.
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