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Gewalt während der Pandemie Volle Frauenhäuser – und das unheimliche Schweigen der Telefone

  • Der heutige 25. November ist der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen.
  • In diesem Jahr befürchten Opferstellen eine Zunahme der häuslichen Gewalt während der Lockdowns und Shutdowns in vielen Ländern.
  • In der Schweiz gibt es noch keine belastbaren Zahlen dazu – aber eine auffällige Stille während des Shutdowns vom Frühling.

Polizeikorps und Opferberatungsstellen sehen zwar insgesamt keinen signifikanten Anstieg von häuslicher Gewalt im Vergleich zum Vorjahr. Doch die Frauenhäuser sind momentan voll. So schildert es Susan Peter von der Dachorganisation der Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein.

«Aktuell sind alle Frauenhäuser voll, wir jonglieren und schauen, wo improvisiert werden kann.» Denn auch wenn es keine freien Plätze gebe, würden die Frauen nicht einfach an andere Stellen verwiesen, so Peter. «Wir versuchen adäquate, fachliche Lösungen zu finden.»

Alarmierende Zahlen

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Letztes Jahr wurden knapp 20'000 Fälle häuslicher Gewalt polizeilich registriert, das sind gut 6.2 Prozent mehr als im Vorjahr. Laut dem Bundesamt für Statistik (BFS) wird alle vier Wochen eine Frau innerhalb der Partnerschaft getötet. Von den 29 häuslichen Tötungsdelikten ereigneten sich 15 in einer Partnerschaft, bei welchen 14 Frauen und ein Mann getötet wurden.

Die Anzahl Tötungsdelikte bewegte sich in den letzten Jahren um einen Durchschnittswert von etwa 25 herum. In der 10-Jahres-Aufstellung des BFS fällt eine Zahl aus dem Rahmen: Mit 36 vollendeten Tötungsdelikten war 2015 das schwarze Jahr der Statistik.

Lösungen finden für Betroffene – eine bekannte Herausforderung für die Schweizer Frauenhäuser. Sie verfügen heute über rund 400 Plätze. Das reiche nicht, meint Peter.

«Es gibt nach wie vor zu wenige Plätze in Frauenhäusern. Und es gibt Kantone, die kein Angebot haben.» Die betroffenen Frauen müssten in anderen Kantonen Unterkünfte finden, was unter Umständen sehr aufwendig und schwierig sei.

Es meldeten sich so wenige Frauen bei uns, dass wir uns gefragt haben, ob die Telefone vielleicht defekt oder überlastet sind.
Autor: Susan Peter Dachorganisation der Frauenhäuser in der Schweiz und Liechtenstein

Die Pandemie ist eine zusätzliche Herausforderung. Sie verstärke die Stressfaktoren und damit auch das Gewaltpotenzial – so Peters Vermutung. Schon im Frühling hatten die Frauenhäuser wegen Corona mit einem Grossansturm gerechnet. Doch zunächst kam es anders.

Volle Frauenhäuser nach dem Shutdown

«Wir haben mit grossem Erstaunen realisiert, dass es eher zu einem Schockzustand, einem Stillstand kam», sagt Peter. Sowohl die Frauenhäuser als auch die ambulanten Beratungsstellen hätten nur wenige Anrufe bekommen. «So wenige, dass wir uns gefragt haben, ob die Telefone vielleicht defekt oder überlastet sind.»

Peter glaubt, dass sich viele Frauen während des Shutdowns, als die ganze Familie zu Hause war, nicht melden wollten oder melden konnten. Ein Indiz für diese These: Erst nach dem Shutdown füllten sich die Frauenhäuser wieder.

Ob die Pandemie tatsächlich zu mehr häuslicher Gewalt führt oder nicht, bleibt vorerst ungeklärt.

Heute Morgen vom 25.11.2020, 6 Uhr

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