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Gute Bewertungen gegen Geld sind weit verbreitet
Aus SRF 4 News aktuell vom 12.10.2021. Bild: Keystone
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Google Maps Krieg der Sterne – Tausende Fake-Rezensionen bei Google entdeckt

  • Eine Datenrecherche zeigt: Der Kauf von Fake-Bewertungen auf Google Maps ist noch immer weit verbreitet.
  • SRF hat Netzwerke von Tausenden von professionell gesteuerten Fake-Profilen entdeckt, die bei hunderten von Firmen mutmasslich gekaufte Bewertungen hinterliessen.
  • Google kennt das Problem seit langem, tut aber zu wenig dagegen.

Auf den ersten Blick sieht es aus wie eine ganz normale Bewertung auf Google Maps. Eine Userin mit dem typisch schweizerischen Namen Susanne B. (Nachname anonymisiert) bewertet ihren Coiffeur mit der Bestnote: 5 Sterne. Sie hat bereits 15 Rezensionen geschrieben, ein Profilfoto und sogar eine «Local Guide»-Auszeichnung von Google, was suggeriert, dass sie sich auskennt. Der Inhaber des Coiffeur-Salons bedankt sich in der Antwort herzlich «für das Vertrauen».

Bloss: So ziemlich alles an diesem Austausch ist erfunden. Susanne B. gibt es nicht. Das Profil wird gesteuert von einem Anbieter für Fake-Rezensionen. Wer den Spuren von Susanne B. folgt, findet sich bald wieder in einem Netzwerk von gefälschten Profilen, die erfundene Erfahrungsberichte verteilen – sehr wahrscheinlich für Geld.

Eine grossangelegte Datenrecherche von SRF zeigt, dass gefälschte Bewertungen auf Google Maps im deutschsprachigen Raum weit verbreitet sind. Dafür wurden über 500'000 Bewertungen von 300'000 Profilen bei 30'000 Unternehmen in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum gesammelt. Bei der Analyse der Daten wurden mehrere Netzwerke mit Tausenden von verdächtigen Profilen entdeckt, die bei Hunderten von Firmen mutmasslich gefälschte Bewertungen hinterlassen haben und mit hoher Wahrscheinlichkeit von professionellen Anbietern von Fake-Bewertungen im In- und Ausland betrieben werden. Die Daten erlauben erstmals Einblicke in ein zwielichtiges Geschäftsmodell, von dem alle profitieren. Alle, ausser die Kundinnen und Kunden.

Um die Problematik zu veranschaulichen, soll hier als Beispiel ein Coiffeur-Geschäft in einer Stadt am Zürichsee dienen. Es handelt sich um die Filiale einer bekannten Coiffeur-Kette, doch weil es hier nicht um Einzelfälle geht, sondern ums System, nennen wir den Coiffeur einfach «Schnipp-Schnapp».

Mit 134 Rezensionen und einem Rating von 4,9 Sternen von maximal 5 Sternen hat «Schnipp-Schnapp» ein besseres Rating als die meisten seiner Konkurrenten, mit wirklich ausgezeichneten Bewertungen. Die allermeisten davon sind 5-Sterne-Bewertungen. Eine davon ist jene von Susanne B.

Ein anderes Beispiel ist diese Rezension, die in der gleichen Woche gemacht wurde, von einem Profil mit dem Vornamen Stella F. Es enthält ein paar Rechtschreibfehler und ein Foto ihres neuen Haarschnitts – ein Hinweis auf die Glaubwürdigkeit des Inhaltes.

Doch wie vertrauenswürdig sind diese Rezensionen wirklich? Wenn man das Profilbild von Stella F. im Netz sucht, wird man schnell fündig – bei einem Anbieter von Stock-Fotos.

Und auch das gepostete Foto von Stella F.s neuem Haarschnitt kursiert seit mehreren Jahren im Netz. Für den Namen der angeblichen Coiffeur-Kundin Stella F. findet sich kein Hinweis, dass in der Schweiz eine Person mit diesem Namen wohnen würde.

Im letzten Jahr hat Stella auf Google Maps 14 Rezensionen von Schweizer Unternehmen verfasst, darunter...

Von den 134 Bewertungen beim Coiffeur Schnipp-Schnapp stammen gemäss Analyse mindestens 51 aus dem mutmasslichen Fake-Netzwerk um Stella F. – mindestens 38 Prozent der Bewertungen sind in diesem Fall gefälscht. Bei anderen der aufgedeckten Unternehmen machen die Fake-Reviews teilweise fast hundert Prozent aus. Und dabei handelt es sich nur um jene Profile, die nachweislich verdächtig sind. Nicht einbezogen wurden beispielsweise alle Profile, die nur eine einzige Rezension geschrieben haben, was auch ein Indiz für gefälschte Bewertungen ist. In Wirklichkeit dürfte der Anteil an gefälschten Bewertungen also noch höher sein.

Die Gründe für den Kauf solcher Bewertungen sind vielfältig. SRF hat mit Dutzenden von Käufern gesprochen. Viele wollen einfach ihr Rating verbessern. Denn diese Erfahrungsberichte haben nachweislich einen hohen Einfluss auf das Konsumverhalten der Kundinnen und Kunden. Und auf den Suchalgorithmus bei Google.

Kauf und Verkauf von Fake-Bewertungen ist illegal

Mehrere der von SRF enttarnten Netzwerke werden mit hoher Wahrscheinlichkeit von professionellen Anbietern von Fake-Bewertungen betrieben. Sie haben ihren Sitz in der Schweiz, in Deutschland, Polen oder auf den Seychellen und verlangen für persönliche, deutschsprachige 5-Sterne-Rezensionen von hochwertigen Profilen meist zwischen fünf und fünfzehn Franken.

In der Schweiz verstösst sowohl der Kauf als auch der Verkauf solcher falscher Bewertungen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Professor Florent Thouvenin, Inhaber des Lehrstuhls für Informations- und Kommunikationsrecht an der Universität Zürich, sagt: «Es handelt sich um Irreführung, wenn Bewertungen platziert werden, die so tun, als wären sie echte Konsumentenberichte, es aber gar nicht sind.» Allerdings gäbe es in dieser Konstellation noch keine Gerichtsfälle in der Schweiz – es scheint, dass weder die getäuschten Konsumentinnen und Konsumenten noch die Konsumentenschutzorganisationen gegen falsche Bewertungen vorgehen.

Ob Plattformen wie Google haften, auf denen falsche Bewertungen angezeigt werden, ist eine komplexe Frage, die in der Schweiz laut Thouvenin bisher nicht hinreichend geklärt ist. Dafür kommt Google in anderen Ländern immer mehr unter Druck. Die Wettbewerbsbehörde des Vereinigten Königreichs, die Competition and Markets Authority, hat im Juni eine Untersuchung gegen Google und Amazon angekündigt, wegen dem Verdacht, dass sie nicht genug gegen Fake-Reviews unternehmen. Insbesondere werden jene Muster erwähnt, die auch SRF aufgedeckt hat: Netzwerke von Profilen, die miteinander nichts zu tun haben, aber zur gleichen Zeit die gleichen Orte rezensierten.

Und was sagt Google?

SRF konnte mit einem vergleichsweise kleinen Datensatz und einfachen analytischen Methoden Tausende von Fake-Profilen enttarnen. Google besitzt alle Daten und viel ausgeklügeltere Algorithmen – warum unternimmt das Unternehmen nicht mehr gegen Fake-Bewertungen?

Auf Anfrage schreibt ein Sprecher, Google würde erheblich in die Verifikation der Information investieren: «Wir überprüfen Beiträge genauestens und rund um die Uhr auf betrügerische Bewertungen, dies basierend auf unseren Richtlinien. Dafür setzen wir auf eine Kombination aus Mensch und Technologie. Wenn wir feststellen, dass Menschen in die Irre geführt werden, ergreifen wir umgehend Massnahmen – von der Entfernung von Inhalten bis hin zur Löschung des Google-Kontos.»

Unter anderem kämen da auch automatische Erkennungssysteme zum Zug. «Im Falle von nicht authentischen Bewertungen überprüfen unsere Systeme jede einzelne Bewertung auf bestimmte Signale, bevor sie bei Google Maps veröffentlicht wird. Unsere Modelle für maschinelles Lernen achten auf bestimmte Wörter und Phrasen, untersuchen Muster nach Art des Inhalts, die ein Konto in der Vergangenheit verfasst hat, und können verdächtige Bewertungsmuster erkennen.» Bloss: Die Tausenden von Fake-Profilen, die SRF mit einfachen Mitteln ermittelt hat, konnten Googles Algorithmen offenbar nicht erkennen.

Das Netzwerk löst sich auf

Nach dem SRF begonnen hat, Käufer und Verkäufer mit der Recherche zu konfrontieren, beginnt sich das Netz um Susanne B. langsam aufzulösen. Eine Rezension nach der anderen verschwindet spurlos. So auch die Bewertungen von Susanne B. und Stella F. von «Schnipp-Schnapp». Und plötzlich ist es, als hätte es sie nie gegeben.

Zur Methodik der Daten-Recherche

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SRF Data hat im Rahmen dieses Experiments automatisiert ca. 500'000 Reviews von ca. 300'000 Profilen gesammelt, die in den letzten Jahren bei ca. 30'000 Firmenprofilen mehrheitlich im deutschsprachigen Raum auf Google Maps hinterlassen wurden. Dann wurde das Netzwerk mittels einfacher Methoden der Datenanalyse, etwa der Community Detection oder dem Quasi-Cliquen-Verfahren, nach Mustern von Profilen und Orten durchsucht, die überdurchschnittlich stark vernetzt sind. Dies ist der Fall, wenn gleiche Profile mehrheitlich die gleichen Unternehmen bewerten. Um sicher zu sein, dass sehr stark vernetzte Cliquen gefunden werden, wurde vorausgesetzt, dass Profile bei mindestens drei gleichen Firmenprofilen eine Bewertung oder Rezension abgesetzt haben müssen. Um Fake-Cliquen von echten Cliquen zu unterscheiden, wurden die gefundenen Cliquen manuell inspiziert. Dabei haben sich mehrere Netzwerke herauskristallisiert, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit professionell organisierte Fake-Netzwerke sind.

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Heute Morgen, 6.00 Uhr, 12. Oktober 2021

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