Kinderkrankheiten
Der Gotthard-Basistunnel ist mehr als eine Betonröhre. 70'000 Datensammelpunkte, 19 Computersysteme, mehrere Datenautobahnen, Stromversorgungen, Stellwerktechnik: Die Komplexität des High-Tech-Bauwerks ist einzigartig. Alles funktioniert, die Anlagen laufen stabil, so lautet das Fazit der SBB nach sechs Monaten Betrieb. Bei einzelnen Lokomotivtypen kommunizieren die Steuerungen nicht richtig mit dem Zugsicherungssystem im Tunnel.
Kinderkrankheiten, heisst es dazu bei der SBB. Die 13 neuen Unterhaltsfahrzeuge wurden zwar 2013 bestellt und hätten seit 2015 bereit sein sollen. Nach Liefer- und Zulassungsschwierigkeiten können sie aber erst 2018 eingesetzt werden.
Zuletzt hat der Staub im Tunnel die SBB überrascht. Er ist so dicht, dass Brandmelder Fehlalarme auslösen. Seither müssen Kieszüge langsamer durch den Tunnel fahren. So ist der Verkehr im Gotthard ein kompliziertes Puzzle aus Abläufen und Technik. Die SBB tastet sich an das Gotthard-Optimum heran.
Erfolg im Passagierverkehr
Bisher waren 1,8 Millionen Passagiere im Basistunnel unterwegs, das sind 9600 Reisende pro Tag und 30 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zunahme ist beträchtlich, entspricht aber den Erwartungen, schreibt die SBB auf Anfrage.
Vereinzelte Züge (10 von insgesamt 8500) sind über die Bergstrecke umgeleitet worden. Wenn ein Zug zu mehr als 140 Prozent besetzt ist, wenn also alle 70 Zentimeter Passagiere in den Gängen stehen, dann gibt es im Ereignisfall kein Durchkommen mehr für Zugbegleiter. Das widerspricht den Sicherheitsvorschriften im Basistunnel. Solche Züge werden über die historische Bergstrecke geführt, die bei der SBB heute Panoramastrecke heisst. 700 Passagiere wurden eingeladen, einen weniger stark belegten Zug zu wählen.
Ungewissheit an der Bergstrecke
In der Sommersaison fährt an Wochenenden ein «Gotthard-Weekender» für Outdoor-Fans von Zürich über den Gotthard nach Bellinzona. Dazu kommt ein «Gotthard-Panoramaexpress». An Wochenenden und Feiertagen fahren einzelne direkte Interregio-Züge von Basel oder Zürich nach Göschenen. Sonst aber muss, wer von der Deutschschweiz in die Gotthardregion reisen will, ein oder zweimal umsteigen. So würden Fahrgäste geradezu abgeschreckt, heisst es in der Gotthardregion. Die SBB will dieser Kritik entgegenkommen und bessert nach.
Neu werden ab dem Fahrplan 2018 zwei Wochenend-Zugspaare ganzjährig nach Göschenen geführt. Geprüft wird zudem, ob die Interregio-Züge nicht ganz generell von der Deutschschweiz bis Göschenen fahren und ob die Tessiner Gotthard-TILO ihrerseits in Göschenen gewendet werden könnten.
Die Zukunft der Bergstrecke entscheidet sich mit der Vergabe der neuen Konzession im Dezember. Wird die Bergstrecke als Fernverkehrsstrecke betrieben oder als eine für den Lokalverkehr? Je nachdem müssen Kantone und Gemeinden dafür tief in die Tasche greifen. Der Bundesrat rechnet mit 10 bis 16 Millionen Franken ungedeckter Betriebskosten. Mitentscheidend sind die Publikumszahlen. Heute nutzen täglich rund 1000 Reisende die Panoramastrecke, teilt die SBB mit. 500 sind es zwischen Göschenen und Airolo. Das entspreche den Erwartungen.
Baustellen für Güterzüge
An Werktagen verkehren bis zu 120 Güterzüge durch den Tunnel. Die volle Leistungsfähigkeit mit 260 Güterzügen pro Tag erreicht der Tunnel erst ab Ende 2020. Dann geht der Ceneri-Basistunnel in Betrieb, und der Güterbahnkorridor mit einheitlichen 750 Meter langen, 2000 Tonnen schweren Zügen mit 4 Metern Eckhöhe ist durchgehend. Die Fahrzeit von Güterzügen von Basel bis Chiasso ist 50 Minuten kürzer geworden. An der Grenze aber bleiben die Güterzüge stehen.
Die Anpassung der internationalen Güterzugfahrpläne an den neuen Basistunnel ist vergessen worden. Seit heute Sonntag ist die Güterbahnlinie von Bellinzona nach Luino für sechs Monate vollständig gesperrt. Die Strecke wird für den Transport von LKWs mit vier Metern Eckhöhe ausgebaut. Auch hier sorgt die mangelnde internationale Koordination für Ärger: Denn gleichzeitig ist der Verkehr an der Brennerbahn wegen Bauarbeiten reduziert. Für das Lastwagengewerbe ist das eine Chance, Verkehr von der Schiene auf die Strasse zurückzuholen.