Nach nur gerade 192 Metern blieb die Tunnelbohrmaschine «Paulina» Anfang Sommer im zerklüfteten Gestein stecken. «Geologische Herausforderungen» erforderten einen Methodenwechsel, teilte das «Astra», das Bundesamt für Strassen, mit: Ab sofort werde gesprengt statt gebohrt. Mehrkosten von bis zu 20 Millionen Franken und Verzögerungen von bis zu 8 Monaten. Trotzdem verschiebe sich der Eröffnungstermin nicht.
Insider warnen gegenüber der «Rundschau» hingegen vor Verzögerungen beim Tunnelausbruch Süd von bis zu zwei Jahren. Allein die Mehrkosten beim Personal seien viel höher, weil jetzt rund um die Uhr gearbeitet werde, statt wie vor dem Vorfall an fünf Tagen in zwei Schichten.
Zahlreiche Warnungen
Dass die Tunnelbohrmaschine blockiert ist, kam alles andere als überraschend. Warnungen gab es genug. Die letzte: Nach nur fünf Metern blieb die Tunnelbohrmaschine ein erstes Mal stecken – einen Monat lang, wie die «Rundschau» jetzt öffentlich macht. Sie stiess in einen Hohlraum, Gestein verklemmte die Maschine. Das Astra kommunizierte den Vorfall bis heute nicht. Dasselbe passierte dann noch einmal bei Tunnelmeter 192. Diesmal war der Hohlraum noch grösser, zu gross.
Davor gab es schon zahlreiche Warnungen. Die erste: ein eingestürztes Sondier-Bohrloch 2016 in der sogenannten Tremola-Serie. «Wenn schon ein Bohrloch bei der Sondierbohrung nicht hält, ist das bereits eine rote Lampe», sagt der emeritierte Professor für Geologie der Universität Bern, Adrian Pfiffner. Zweite Warnung: Ein 150-seitiges, geologisches Gutachten hielt 2018 fest: «Es wird empfohlen, mindestens die ersten 200 Meter (idealerweise mindestens 400 Meter) ab dem Portal Airolo im Sprengvortrieb zu erstellen und erst dann den Tunnelbohrmaschinen-Vortrieb in geotechnisch günstigeren Verhältnissen zu starten.»
Auch ein zweites geologisches Gutachten von 2020 warnte: «Die effektiven Gebirgsverhältnisse auf den ersten 200 bis 400 Metern (evtl. bis 700 Meter) in der Tremola-Serie ab dem Portal Airolo sind schwierig einzuschätzen. Die Gesteine sind wahrscheinlich durch Hakenwurf bis auf Tunnelniveau aufgelockert und weisen eine verringerte Festigkeit auf.» Für den Geologen Hans-Rudolf Keusen, selbst Verfasser zahlreicher Gutachten, wiederum eine klare Warnung.
Doch dann taucht in diesem zweiten Gutachten trotzdem die Empfehlung auf, in der Tremola-Serie mit der Maschine zu bohren. Das sei «nicht nachvollziehbar», so Keusen. «Der Wechsel ist nirgends begründet.» «Die Gefahr ist wörtlich erwähnt. Trotzdem steht in einer Tabelle: Tunnel-Bohrmaschinenvortrieb. Ich bin völlig perplex», sagt auch Experte Pfiffner. Beide sagen: Abweichende Gutachten sind möglich, aber eine solche fundamentale Umkehr im Vortrieb ohne Begründung hätten sie noch nie gesehen.
Beim Astra stütze man sich dennoch auf diese Einschätzung. Man habe mit Geologen und Experten entschieden, in der Tremola-Serie die Tunnelbohrmaschine einzusetzen, erklärt Astra-Vizedirektor Guido Biaggio: «Ein gewisses Restrisiko gibt es immer. Wir können nicht einen Tunnel bauen ohne Restrisiken.» Entschieden habe man aufgrund fundierter geologischer Berichte und diese hätten gezeigt, eine Tunnelbohrmaschine einzusetzen, sei möglich.