Im Kampf gegen Sprayereien geht Basel-Stadt neue Wege. Statt Graffiti zu verbannen und die Sprayer zu verfolgen, gibt der Kanton vermehrt Wände frei und schliesst dafür mit den Künstlern Verträge ab. Die deutsche Kunstwissenschaftlerin Larissa Kikol erklärt, weshalb auch illegale Graffiti unbedingt weiterhin ihren Raum in den Städten behalten müssen.
SRF News: Ist es sinnvoll, dass Städte gezielt Wände freigeben?
Larissa Kikol: Ja und nein. Klar ist es schön für einige Sprayer, wenn sie in aller Ruhe und mit mehr Zeit grössere Wandbilder entwickeln können. Freigegebene Wände werden auch von Nachwuchs-Sprayern genutzt, um dort quasi zu trainieren. Aber das hat nichts mit dem Aufkommen von illegalen Graffiti in einer Stadt zu tun. Denn die illegale Szene ist zum grossen Teil eine ganz andere. Diese besprüht eher nicht legale Wände. Deshalb kann eine Stadt nicht darauf hoffen, dass es weniger illegale Graffiti gibt, wenn sie mehr Wände freigibt.
Was ist denn eigentlich der Motor der illegalen Sprayer-Szene?
Es geht sehr stark um die einzelnen Orte. Manche wollen Züge besprayen, andere grossflächige Hausfassaden. Dafür klettern sie zum Beispiel auch auf Hausdächer. Sie suchen sich jene Orte aus, die gesehen werden, etwa auf grossen Plätzen oder entlang der Verkehrsachsen. Es gleicht einem Wettkampf: Wer schafft es, bestimmte Orte zu «bespielen», ohne erwischt zu werden? Ausserdem können der Stress und das Zeitlimit andere, kreative Impulse freisetzen.
Sind denn Graffiti, welche auf diese Art entstehen, besser?
Für meinen persönlichen Geschmack schon – gerade im Vergleich zur Street-Art oder zu legalen Arbeiten. Diese entstehen immer aus dem Anspruch heraus, möglichst vielen Menschen zu gefallen. Illegale Graffiti dagegen sollen auch stören. Diese sind nicht für die Masse da, sondern nur für eine kleine Szene. Weil dabei weniger Kompromisse gemacht werden, sind sie subjektiver und eigenwilliger, stärkere künstlerische Positionen können sich entwickeln. Das halte ich für spannender.
Illegale Graffiti sollen auch stören. Diese sind nicht für die Masse da, sondern nur für eine kleine Szene.
Ist es nicht logisch, dass bei einer jungen Kunstform wie Graffiti irgendwann der Mainstream Einzug hält?
Klar, das gehört dazu. Ich würde es keinem Künstler zum Vorwurf machen, wenn er damit Geld verdienen und seine Leidenschaft zum Beruf machen will. Aber wie immer muss man auch die Frage nach der Qualität stellen, wie bei der Fotografie oder der Malerei auch. Nicht alles ist Kunst. Manches ist einfach nur banal oder Kitsch. Deshalb ist nicht jeder Sprayer automatisch ein Künstler.
Manche Sprayer machen einen Spagat: Sie malen illegal, verdienen aber bei gewissen Arbeiten auch Geld. Ist dies vertretbar?
Die meisten sehen diesen Widerspruch wahrscheinlich. Deshalb fragen sich die Sprayer auch, woher ein Auftrag kommt: Ist es zum Beispiel der Auftrag einer Immobiliengesellschaft, die bloss den Wert ihrer Liegenschaft steigern will? Oder kommt der Auftrag von der Stadt? Auch darauf achten einige, um nicht plötzlich als offizieller Lieblingssprayer der Stadtregierung zu gelten.
Die Leute in der Szene werden gegeneinander ausgespielt.
Viele Sprayer sind sich bei einer legalen Wand bewussst, dass diese schon bald wieder übermalt wird. Das gehört meiner Meinung nach dazu. Denn Städte versuchen ja zum Teil, Wände freizugeben oder Aufträge zu erteilen, um so die illegalen Sprayer fernzuhalten. Damit werden aber die Leute in der Szene gegeneinander ausgespielt.
Das Gespräch führte Philippe Chappuis.