In dieser Krise sind Prognosen schwierig und schnell überholt. Noch vor zweieinhalb Wochen sagte Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga, es sei wichtig, der Bevölkerung eine Perspektive zu geben: «Sommerferien in der Schweiz sind möglich.». Damals, und das scheint heute lange her, nahm man diese Ankündigung eher erleichtert auf. Nahezu undenkbar schienen Reisen ins Ausland.
Doch jetzt herrscht eine neue Normalität: Läden, Schulen und Museen sind wieder offen. Die Grenzöffnungen zu den Nachbarstaaten ausser Italien würden gut in den Schweizer Lockerungsfahrplan passen, meinte heute Justizministerin Karin Keller-Sutter. Und es passt auch zur Stimmung im Land: Laut neusten Handydaten bewegen sich die Menschen wieder sehr viel stärker.
Die Schweiz war eine treibende Kraft im Bemühen um schnelle Grenzöffnungen. Doch obwohl die Schweiz Schengen-Mitglied ist, zeigt sich einmal mehr: Dieses kleine Land ist Bittstellerin, die Entscheide fällen die Grossen. Offenbar war Deutschland noch letzte Woche sehr kritisch, wenn es um rasche Grenzöffnungen ging, besonders das einflussreiche Bundesland Bayern.
Deutschland war auf der Bremse
Auch Keller-Sutter äusserte sich vor zwei Wochen skeptisch, ob Deutschland bald mitziehen würde. Die Schweiz sei in den Augen des nördlichen Nachbarn ein nicht ganz unproblematisches Land, wegen der gemeinsamen Grenze mit Italien. Doch die Forderungen von Bürgermeistern aus Baden-Württemberg, man solle die Situation in den stark vernetzten Grenzregionen Basel und Konstanz/Kreuzlingen möglichst rasch normalisieren, haben offenbar auch bei der Regierung in Berlin zu einem Umdenken geführt.
Ähnliche Forderungen gab es auch in Frankreich aus den mit Genf und Basel stark verbundenen Regionen. Laut Keller-Sutter war es am Schluss Frankreich, das den 15. Juni als Tag der Öffnung festlegte. Und gestern Abend war es der ehrgeizige österreichische Kanzler Kurz, der baldige Grenzöffnungen in Aussicht stellte. Heute Mittag der deutsche Innenminister Seehofer, der die Grenzöffnungen offiziell bekannt gab. Der Schweizer Bundesrat konnte am Nachmittag nur noch bestätigen.
Fragezeichen bei ersten Schritten
Unklarheiten bestehen aber noch bei den ersten Grenzerleichterungen, die bereits ab diesem Wochenende gelten sollen. Staatssekretär Mario Gattiker präsentierte heute eine Wunschliste: Unverheiratete Paare sollen sich wieder besuchen dürfen, auch Familienmitglieder. Eigentümer von Zweitwohnungen sollen einreisen können. Auch hier wird wohl vor allem Deutschland entscheiden, was möglich sein wird und was nicht.
Trotzdem zuhause bleiben?
Grenzöffnungen für alle sollen dann ab dem 15. Juni kommen und damit auch der Zustand des Eingeschlossenseins im eigenen Land beendet werden. Sommerferien an der Ostsee oder Mittelmeerküste sind möglich. Immer vorausgesetzt, die Ansteckungszahlen in der Schweiz und den Nachbarstaaten bleiben tief. Trotzdem rief Bundesrätin Keller-Sutter heute dazu auf, nach Möglichkeit im eigenen Land zu bleiben. Auch aus Solidarität mit dem stark gebeutelten Schweizer Tourismus – der nun allerdings auch wieder auf Gäste aus den Nachbarländern hoffen darf.